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Ein Lied für meine Tochter

Ein Lied für meine Tochter

Titel: Ein Lied für meine Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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hinaufzuklettern – oder zumindest haben mir meine Eltern das immer wieder gesagt, und Reid, der nicht wollte, dass sein lästiger kleiner Bruder ihm immer hinterherläuft. Nachts habe ich immer davon geträumt, wie es in dem Baumhaus wohl aussehen würde. Ich habe psychedelische Wände gesehen, riesige Haufen Süßigkeiten und Stapel von MAD-Magazinen. Schließlich bin ich eines Tages doch hinaufgeklettert, obwohl ich wusste, dass ich Ärger dafür bekommen würde. Reid war noch in der Schule. Zu meiner Überraschung sah ich nur grob geschnittenes Holz und ein paar Stellen, wo Reid und seine Freunde etwas mit Kreide gemalt hatten. Auf dem Boden lagen eine Zeitung und ein paar Kronkorken.
    Trotzdem war das für mich der magischste Ort, den ich je gesehen hatte … aber so denkt man wohl immer über Dinge, die unerreichbar sind. Also habe ich mich versteckt, obwohl Mom immer wieder meinen Namen rief. Als Reid von der Schule nach Hause kam, stieg er wie immer zuerst in sein Baumhaus hinauf, bevor er ins Haus ging.
    Was machst du denn hier? , fragte er mich in dem Augenblick, als Moms Stimme ertönte, und eine Minute später steckte sie den Kopf durch die kleine Falltür.
    Wie ist Max denn hier raufgekommen? , schrie sie. Er ist noch nicht groß genug, um auf diesen Baum zu klettern …
    Ist schon in Ordnung , sagte Reid. Ich habe ihm geholfen.
    Ich wusste nicht, warum er log, und ich wusste nicht, warum er nicht wütend auf mich war.
    Meine Mutter hat ihm das abgekauft, aber gesagt, sie würde mir später beim Runterklettern helfen, denn das Letzte, was sie jetzt bräuchte, sei eine Fahrt in die Notaufnahme. Dann schaute Reid mich an. Wenn du zum Club gehören willst, dann musst du dich an die Regeln halten. Und die Regeln mache ich.
    Ich glaube, mein ganzes Leben lang wollte ich immer nur demselben Club angehören, in dem auch mein Bruder war – was auch immer das für ein Club sein mochte.
    Wade befragt ihn noch immer, als ich meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn richte. »Wie lange kennen Sie Zoe Baxter schon?«
    »Sie hat auf meiner Hochzeit gesungen. Da haben wir uns das erste Mal gesehen, und sie ist dann mit meinem Bruder gegangen.«
    »Und wie sind Sie miteinander ausgekommen?«, fragt Wade.
    Reid lächelt verlegen. »Sagen wir einfach, wir haben unterschiedliche Lebensphilosophien.«
    »Haben Sie Zoe während der Ehe mit Ihrem Bruder häufiger gesehen?«, fährt Wade fort.
    »Nicht mehr als ein paar Mal im Jahr.«
    »Wussten Sie von ihren Empfängnisproblemen?«
    »Ja«, antwortet Reid. »Mein Bruder hat sich an einem bestimmten Punkt mal an mich gewandt, weil er Hilfe brauchte.«
    Mein Puls rast. Ich war bei Wades Besprechungen mit Reid nicht dabei, in denen er Reid angewiesen hat, was er auf seine Fragen antworten solle. Sonst hätte ich gewusst, was kommt.
    »Wir haben uns zum Essen getroffen«, erzählt Reid. »Ich wusste, dass er und Zoe es schon mehrmals mit künstlicher Befruchtung versucht hatten, und Max hat mir erzählt, das sei eine große emotionale Belastung für sie als Paar … aber es war auch eine große finanzielle Last.« Er schaut mich an. »Max hatte Zoe erzählt, er würde schon einen Weg finden, um das Geld für den fünften Versuch aufzubringen, aber er wusste nicht wie. Er konnte keine Hypothek aufnehmen, da sie nur zur Miete wohnten. Und er hatte einen Großteil seiner Werkzeuge bereits verkauft. Er brauchte zehntausend Dollar für die Klinik, und er wusste nicht, an wen er sich sonst wenden sollte.«
    Ich schaue sie nicht an, aber ich fühle Zoes wütenden Blick auf meiner Wange. Ich habe ihr nie von diesem Treffen erzählt. Ich habe ihr nur erzählt, dass ich schon einen Weg finden würde, ihr ein Baby zu schenken … egal wie.
    »Und was haben Sie getan, Mr. Baxter?«
    »Was jeder Bruder tun würde«, antwortet Reid. »Ich habe ihm einen Scheck ausgestellt.«
    Angela Moretti bittet um eine Verhandlungspause. Vermutlich weil sie Angst hat, Zoe könnte sich auf mich stürzen und mir das Gesicht zerkratzen.
    Dabei war es ja nicht so, als hätte ich sie belügen oder verbergen wollen, dass Reid uns das Geld für den letzten Zyklus in der Klinik gegeben hatte. Aber wir drohten in unseren Schulden zu ertrinken. Ich konnte einfach keine zehntausend Dollar mehr auftreiben. Und ich konnte auch die Vorstellung nicht ertragen, ihr sagen zu müssen, dass uns das Geld ausgegangen war. Wie hätte ich dann dagestanden? Als Looser!
    Ich wollte sie einfach nur glücklich machen. Ich wollte

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