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Ein Lied für meine Tochter

Ein Lied für meine Tochter

Titel: Ein Lied für meine Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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hindurchgeschoben«, antwortet Wade. »Gottes Wege sind unergründlich.«
    Ich wage stark zu bezweifeln, dass Gott den Kopierer im Blackstone Hospital bedient hat.
    »Miss Shaw, ich werde Sie jetzt noch mal fragen«, wendet Wade sich wieder an mich. »War ein Selbstmordversuch der Grund für Ihren einwöchigen Aufenthalt im Blackstone Hospital?«            
    Ich laufe rot an, und das Blut hämmert in meinen Ohren. »Nein.«
    »Dann haben Sie also versehentlich eine Flasche Tylenol geschluckt, ja?«
    »Ich war depressiv. Ich hatte nicht vor, mich umzubringen. Und das war vor langer Zeit. Jetzt bin ich an einem völlig anderen Punkt in meinem Leben als damals. Offen gesagt weiß ich gar nicht, warum Sie hier diese Hexenjagd veranstalten.«
    »Ist es fair zu sagen, dass Sie vor acht Jahren sehr aufgeregt waren? Dass Sie sich in einer Krise befunden haben?«
    »Ja.«
    »Es war also etwas Unerwartetes geschehen, das Sie so sehr mitgenommen hat, dass Sie schlussendlich im Krankenhaus gelandet sind, ja?«
    Ich senke den Blick. »Vermutlich.«
    »Zoe Baxter hat ausgesagt, dass sie Krebs gehabt hat. Sind Sie sich dessen bewusst?«
    »Ja, bin ich. Aber sie ist jetzt wieder gesund.«
    »Zu den Unannehmlichkeiten bei Krebs gehört, dass er gerne wieder zurückkommt, nicht wahr? Miss Baxter könnte doch wieder Krebs bekommen, oder etwa nicht?«
    »Das könnten Sie auch«, erwidere ich.
    Vorzugsweise in den nächsten drei Minuten.
    »Das ist ein furchtbarer Gedanke«, gibt Preston zu, »aber wir müssen ja nicht alle Möglichkeiten durchgehen. Sagen wir einfach, Zoe Baxter bekäme wieder Krebs. Das würde Sie doch aufregen, nicht wahr?«
    »Ich wäre am Boden zerstört.«
    »So sehr, dass es zu einem neuen Zusammenbruch kommen könnte, Miss Shaw? Zu einer weiteren Flasche Tylenol?«
    Angela springt wieder auf und legt Einspruch ein.
    Wade Preston schüttelt den Kopf. »Miss Shaw«, sagt er, »wer sollte sich in diesem Fall dann um die armen Kinder kümmern?«
    Kaum habe ich den Zeugenstand verlassen, da unterbricht der Richter die Verhandlung. Zoe dreht sich zu dem Platz um, den ich hinter ihr im Zuschauerraum eingenommen habe. Wir stehen beide. Sie schlingt die Arme um mich. »Es tut mir so leid«, flüstert sie.
    Ich weiß, dass sie an Lucy denkt und wie ich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt habe, um etwas zu finden, das Lucy in dieser Welt hält, damit sie sich nicht aus ihr verabschiedet. Ich weiß, dass Zoe sich fragt, ob ich mich selbst in Lucy gesehen habe.
    Aus dem Augenwinkel heraus sehe ich etwas Purpurfarbenes. Wade Preston geht aus dem Saal. Sanft löse ich mich aus Zoes Armen. »Ich bin gleich wieder zurück.«
    Ich folge Wade Preston den Flur hinunter und ziehe mich jedes Mal in die Schatten zurück, wenn er stehen bleibt, um sich von einem Gemeindemitglied auf die Schulter klopfen zu lassen oder der Presse ein paar Brocken hinzuwerfen. Er pfeift vor sich hin und ist so selbstzufrieden, dass er noch nicht einmal bemerkt, dass er verfolgt wird. Schließlich biegt er um die Ecke und öffnet die Tür zur Herrentoilette.
    Ich folge ihm hinein.
    »Mr. Preston«, sage ich.
    Er hebt die Augenbrauen. »Aber Miss Shaw«, sagt er. »Man sollte meinen, dass jemand mit Ihrem Lebensstil die Letzte ist, die den Fehler begeht, Räumlichkeiten zu betreten, die mit dem Bild eines Mannes gekennzeichnet sind.«
    »Wissen Sie, ich bin Pädagogin. Und Sie, Mr. Preston, könnten ein wenig Erziehung vertragen.«
    »Ach ja?«
    »Ach ja.« Rasch werfe ich einen Blick unter die Kabinentüren, und zum Glück sind wir allein. »Zunächst einmal … Homosexualität ist kein Lebensstil. Das bin ich nur zufällig. Zweitens habe ich mir nicht ausgesucht, Frauen attraktiv zu finden, das ist einfach so. Haben Sie sich etwa ausgesucht, heterosexuell zu sein? Während der Pubertät vielleicht? Als Sie Ihren Highschool-Abschluss gemacht haben? War das eine Frage bei der Aufnahmeprüfung am College? Nein. Homosexualität ist genauso wenig eine Entscheidung wie Heterosexualität. Und ich weiß das, glauben Sie mir. Warum sollte sich auch jemand bewusst dafür entscheiden, homosexuell zu sein? Warum sollte ich freiwillig auf mich nehmen, ständig gemobbt zu werden? Warum sollte ich wollen, dass Leute wie Sie ständig auf mich herabblicken und mich in eine Schublade stecken? Warum sollte ich freiwillig einen Lebensstil wählen, wie Sie es nennen, der ständigen Kampf bedeutet? Ich kann einfach nicht glauben, dass jemand, der so weit

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