Ein Lied für meine Tochter
herumgekommen ist wie Sie, Mr. Preston, so blind sein kann.«
»Miss Shaw.« Er seufzt. »Ich werde für Sie beten.«
»Wie rührend. Aber da ich Atheistin bin, ist das ohne Bedeutung für mich. Tatsächlich würde ich es gerne sehen, wenn Sie zum Thema Homosexualität mal zu einem Text greifen würden, der ein wenig aktueller ist als der, den Sie dauernd bemühen: die Bibel. In den letzten zweitausend Jahren ist nämlich ziemlich viel zu dem Thema geschrieben worden.«
»Sind Sie jetzt fertig? Ich bin nämlich aus einem ganz bestimmten Grund hier …«
»Noch nicht. Es gibt vieles, was ich nicht bin, Mr. Preston. Ich bin nicht pädophil. Ich bin keine Softballtrainerin und auch keine Motorradbraut – genauso wenig wie Schwule immer Friseure, Floristen oder Dekorateure sind. Ich bin nicht unmoralisch. Aber wissen Sie, was ich bin? Ich bin intelligent. Ich bin tolerant. Und ich bin durchaus in der Lage, Mutter zu sein. Ich bin anders als Sie, aber ich bin nicht weniger wert«, sage ich. »Menschen wie ich müssen nicht ›repariert‹ werden. Wir brauchen nur eins: dass die Menschen ihren Horizont erweitern.«
Als ich fertig bin, läuft mir der Schweiß herunter. Glücklicherweise sagt Wade Preston kein Wort.
»Was ist los, Wade?«, frage ich. »Sind Sie es nicht gewohnt, von einem Mädchen fertiggemacht zu werden?«
Er zuckt mit den Schultern. »Sie können sagen, was Sie wollen, Miss Shaw. Sie können sogar im Stehen pinkeln, wenn Ihnen danach ist. Aber Ihre Eier werden nie dicker sein als meine.«
Ich höre, wie er den Reißverschluss aufzieht.
Ich verschränke die Arme vor der Brust.
Ein Patt.
»Und? Werden Sie jetzt gehen, Miss Shaw?«
Ich zucke mit den Schultern. »Sie sind nicht der erste Schwanz, dem ich in meinem Leben begegnet bin, Mr. Preston.«
Wade zieht zischend die Luft ein, schließt die Hose wieder und stürmt aus der Toilette. Ich grinse so breit, dass es wehtut, dann drehe ich das Wasser auf.
Als ein Gerichtsdiener, den ich bis jetzt noch nicht gesehen habe, auf die Herrentoilette kommt, sieht er eine seltsame, große Frau, die sich im Waschbecken die Schminke abwäscht und das Gesicht mit einem Papierhandtuch abtrocknet. »Was?«, verlange ich vorwurfsvoll zu wissen, als er mich anstarrt. Dann marschiere ich hinaus. Was hat er auch für ein Recht zu sagen, was normal ist und was nicht?
Bevor Zoes Mom aussagt, will sie noch mal mit dem Wasser in ihrem Glas sprechen.
»Miss Weeks«, sagt der Richter, »das hier ist keine Showbühne. Können wir jetzt bitte die Verhandlung fortsetzen?«
Dara dreht sich zu ihm um, sie hält noch immer das Glas in der Hand. Der Krug neben dem Zeugenstand ist halbvoll. »Euer Ehren, wissen Sie nicht, dass Wasser positive wie auch negative Energie spüren kann?«
»Mir war nicht bewusst, dass Wasser überhaupt etwas spüren kann außer Nässe«, murmelt er.
»Dr. Masaru Emoto hat das wissenschaftlich nachgewiesen«, erklärt Dara pikiert. »Wenn menschliche Gedanken auf Wasser gerichtet werden, bevor es gefriert, dann werden die Kristalle entweder schön oder hässlich, je nachdem, ob die Gedanken positiv oder negativ waren. Wenn Sie Wasser also positiv stimulieren – mit schöner Musik oder Bildern von Liebe – und es dann einfrieren, dann sind die Eiskristalle symmetrisch. Wenn Sie Ihrem Wasser jedoch Hitlerbilder zeigen oder Fotos von Mordopfern, dann sind die Kristalle verzerrt.« Sie schaut zu Richter O’Neill hinauf. »Unsere Körper bestehen zu mehr als sechzig Prozent aus Wasser. Wenn positive Gedanken Einfluss auf ein einziges Glas Wasser haben können, dann stellen Sie sich nur einmal vor, welche Wirkung solche Gedanken auf unseren Körper entfalten.«
Der Richter reibt sich die Schläfen. »Miss Moretti, da das Ihre Zeugin ist, nehme ich an, es ist Ihnen egal, wenn sie ihr Wasser bespricht.«
»Ja, Euer Ehren.«
»Mr. Preston?«
Er schüttelt verwirrt den Kopf. »Offen gestanden, weiß ich nicht, was ich sagen soll.«
Dara schnaubt verächtlich. »Aus Sicht des Wassers ist das wohl ein Segen.«
»Sie dürfen fortfahren, Miss Weeks«, sagt der Richter.
Dara hebt ihr Glas. »Stärke«, sagt sie mit voller Stimme. »Weisheit. Toleranz. Gerechtigkeit.«
Eigentlich müsste es verrückt wirken, doch es ist bewegend. Denn wer von uns steht nicht hinter diesen Prinzipien, egal woran er sonst glauben mag?
Dann trinkt Dara das Glas bis auf den letzten Tropfen aus und schaut wieder zum Richter hinauf. »So. War das denn wirklich so
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