Ein Lied für meine Tochter
der Unterschriftenzeile steht der Satz: Der Kläger beantragt hiermit die uneingeschränkte Scheidung.
Ja, das tue ich wohl.
Ich würde alles dafür tun, dass mein Leben sich wieder normalisiert.
In gewisser Hinsicht komme ich mit meiner Schwägerin besser zurecht als mit meinem eigenen Bruder. Immer wenn Reid mich in den letzten zwei Monaten gefragt hat, ob ich einen Masterplan habe, um wieder auf die Füße zu kommen, hat Liddy ihn einfach daran erinnert, dass ich zur Familie gehöre und so lange bleiben könne, wie ich will. Wenn sie zum Frühstück eine ungleiche Zahl Schinkenscheiben brät, gibt sie mir die Extrascheibe und nicht Reid. Es ist, als wäre sie der einzige Mensch, den es kümmert, ob ich lebe oder sterbe, der entweder nicht bemerkt, dass ich ein Riesenverlierer bin, oder dem es einfach egal ist.
Liddys Vater war Prediger in einer Pfingstkirche, doch wenn sie nicht gerade frömmelt, ist sie ziemlich cool. Sie sammelt zum Beispiel Green-Lantern-Comics. Und sie steht auf B-Movies – je furchtbarer, desto besser. Da weder Zoe noch Reid je verstanden haben, was an dieser Art von Filmen so interessant ist, begannen Liddy und ich, jeden Monat in eine Mitternachtsvorstellung zu gehen oder zu einem obskuren Festival zu fahren, wo Regisseure und Schauspieler geehrt werden, von denen man noch nie etwas gehört hat, wie William Castle oder Bert Gordon. Heute Abend schauen wir Die Körperfresser kommen – nicht das Remake von 1978, sondern das Original von 1956.
Liddy zahlt immer den Eintritt für mich. Ich habe ihr angeboten, das auch mal zu übernehmen, doch sie hat erwidert, das sei lächerlich – zum einen hätte sie Reids Geld, das sie ausgeben könne, und ich nicht, und zum anderen würde ich sie unterhalten, während Reid bei irgendeinem Klienten sei oder ein Kirchenmeeting besuchen müsse. Also sei das das Mindeste, was sie tun könne. Wir haben uns immer die größten Eimer Popcorn geholt – mit Butter, denn wenn Liddy und Reid miteinander ausgehen, besteht er darauf, dass sie sich nur gesund ernähren. Allerdings war das offen gesagt auch schon Liddys rebellischster Zug.
Ich war diese Woche schon dreimal einen trinken – nur ein schnelles Bier hier und da, nichts, womit ich nicht fertig werden würde. Doch da ich weiß, dass ich mit Liddy zu diesem Film verabredet bin, bin ich trocken geblieben. Ich will nicht, dass sie zu Reid läuft und ihm erzählt, dass ich nach Alkohol stinke. Ich meine, ich weiß ja, dass sie mich mag, und wir kommen auch gut miteinander aus, aber an allererster Stelle ist und bleibt sie die Frau meines Bruders.
Liddy greift nach meinem Arm, als der Hauptcharakter, Dr. Bennell, auf dem Höhepunkt des Films auf den Highway hinausrennt. Und sie schließt die Augen, als es wirklich gruselig wird, doch dann soll ich ihr bis ins kleinste Detail erzählen, was sie verpasst hat.
Sie sind schon hier! , verkündet der Schauspieler und schaut direkt in die Kamera. Ihr seid die nächsten!
Wir schauen uns immer auch noch den Abspann an. Wir schauen den Film bis ganz zum Schluss, wenn die Macher sich bei der Stadt bedanken, die ihnen gestattet hat, dort zu filmen. Für gewöhnlich verlassen wir den Saal als Letzte.
Heute Abend sitzen wir noch immer auf unseren Plätzen, als ein Teenager hereinkommt, um den Müll aufzusammeln. »Hast du je das Remake von 1978 gesehen?«, fragt Liddy.
»Das ist Mist«, sage ich. »Von Invasion mal ganz zu schweigen.«
»Ich denke, das ist mein allerliebstes B-Movie«, verkündet sie und legt den Kopf in den Nacken. »Glaubst du, sie wussten, was mit ihnen passiert ist?«
»Wer?«
»Die Leute. Die Aliens. Glaubst du, sie sind eines Morgens aufgewacht, haben in den Spiegel geschaut und sich gefragt, wie sie so geworden sind?«
Der Junge mit dem Besen bleibt an unserer Reihe stehen. Wir stehen auf und gehen in die schmuddelige Kinolobby. »Das ist doch nur ein Film«, sage ich zu Liddy, obwohl ich ihr eigentlich lieber geantwortet hätte: Nein, diese Leute hinterfragen nicht, was geschehen ist.
Denn wenn man sich in jemanden verwandelt, den man nicht mehr erkennt, dann fühlt man überhaupt nichts mehr. Ich weiß das.
Siebenundsiebzig.
So viele Tage, nachdem ich die Scheidung eingereicht habe, muss ich vor Gericht erscheinen. So viele Tage hat Zoe Zeit gehabt, auch dort zu erscheinen, nachdem sie die Vorladung bekommen hat.
Seit ich den Scheidungsantrag ausgefüllt habe, ist es mir schwergefallen, meinen Arbeitsrhythmus zu finden.
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