Ein Lied über der Stadt
konnte ich dann über die Südamerikamission mit. Papa kannte da einen jungen Pfarrer, Ferdinand Schröder, der hat mich schließlich mitgenommen.«
»Was willst du mir eigentlich sagen?«, fragte Luise ungeduldig. »Dass Papa dich unterstützt hat, weil du ein Junge warst? Oder was?«
Paul sagte einen Augenblick gar nichts, und Luise dachte, er würde aufstehen und gehen, aber dann gab er sich einen Ruck und fuhr fort: »Warte. Ich mache es kurz. Eigentlich hat alles geklappt. Ich habe sogar Land von der Regierung bekommen, um eine Farm aufzubauen. Ich habe Luana kennengelernt. Ich habe natürlich alles unterschätzt. Wie schwierig der Kautschukanbau ist. Und das Klima. Und die fremden Sitten und alles. Aber das war es nicht, weshalb ich zurückgekommen bin.«
Luise merkte, dass ihr Bruder auf etwas Bestimmtes hinauswollte, dass es ihm aber nicht leichtfiel, die richtigen Worte zu finden. Paul hatte sich schon immer mit dem Reden schwergetan. Er schwieg lieber. Also hielt sie sich trotz ihrer schlechten Laune zurück und unterbrach ihn nicht mehr.
»Weißt du«, sagte er dann nach einer Weile, »ich hätte nicht Pleite machen müssen. Ich hätte mir noch einmal Geld leihen können. Aber ich habe einfach irgendwann gemerkt, dass Brasilien …«, er stockte kurz, dann fuhr er schnell fort, »dass es ein falscher Traum war. Es hatte nichts mit dem zu tun, wovon ich wirklich geträumt hatte … was der Traum wirklich bedeutete.«
Er schwieg. Luise sah ihn verstockt an.
»Willst du mir sagen, dass Fliegen der falsche Traum für mich ist?«, fragte sie schließlich mit vor unterdrücktem Zorn belegter Stimme.
Paul war vom Bett aufgestanden und hatte einen weißen Kartonstreifen aus der Tasche gezogen.
»Nein«, sagte er ruhig und legte den Karton neben sie auf den Schreibtisch, »nur, dass du herausfinden sollst, ob es wirklich der richtige ist.«
Er steckte die Hände in die Taschen und ging, wobei er die Tür ihres Zimmers offen ließ. Sie sprang auf und knallte sie hinter ihm zu. Erst dann sah sie sich den Karton an. Es war eine Eintrittskarte. Zu einer Kunstflugschau der Flugschule des Ritters von Greim am nächsten Sonntag in Würzburg. Ein Zugbillett hatte Paul auch angeklammert. Paul!, dachte Luise und merkte, wie sie rot wurde, Paul!
8
»Bin heute Abend in der Werkstatt. Kannst kommen, wenn du magst.«
Luise drehte das Zettelchen in der Hand und überlegte. Es war das erste Mal, dass Georg ihr eine Nachricht hatte zukommen lassen. Sie war mit der Nachmittagspost gekommen; er hatte sich vermutlich überlegt, dass dann wohl eher sie als ihr Vater die Post in Empfang nehmen würde. Tatsächlich hatte Luana dem Boten geöffnet und ihr das Briefchen einfach aufs Zimmer gebracht, vertraulich lächelnd, als ob es ein Liebesbillett wäre. Georg hatte keinen Absender auf den Umschlag geschrieben, und Luise dachte belustigt, wie streng und ernst er sich den Herrn Pfarrer als Vater wohl vorstellte. Obwohl sie so mit ihm gestritten hatte, wusste Luise, dass er sich für solche Dinge wie mögliche Liebesbriefe nicht interessierte. Ein Patriarch aus der Kaiserzeit war Papa nun nicht gerade. Tatsächlich hatte er während des Krieges sogar einmal als Revolutionär für eine Woche im Gefängnis gesessen. Manchmal machte sie das ein bisschen stolz. In Wirklichkeit kam ihr vielleicht genau das als das wesentliche Problem vor. Vielleicht war er einfach zu modern für sie. Er wollte, dass sie studierte, und sie war so ein dummes Mädchen, das eben das nicht wollte.
Sie las den Zettel noch einmal. Georg hatte sich richtig Mühe gegeben und sogar mit Füllfederhalter geschrieben. Sie dachte nach. Als Paul ihr die Eintrittskarte für die Flugschau geschenkt hatte, war es, als hätte er in ihr so etwas wie einen Schalter umgelegt. Schon ohne die Schau gesehen zu haben, allein durch die Vorfreude und weil sie diese Freude überhaupt empfand, wuchs in ihr die Sicherheit, dass sie das Richtige tat. Es war nichts, worüber sie gesprochen hätte, aber sie merkte, dass sie nun nicht mehr einfach nur einem Traum nachhing. Sie hatte angefangen, konkret über all das nachzudenken, was Papa gesagt hatte. Und je mehr reale Schwierigkeiten auftauchten – die Flugausbildung, eine Lizenz, das Geld –, desto sicherer wurde sie insgeheim, dass sie die alle überwinden konnte. Es war kein Hochgefühl, eher eine fast frohe Erwartung. Sie sah Arbeit auf sich zukommen und freute sich darauf, endlich beginnen zu können. Deshalb entschloss
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