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Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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kleinstädtische Sitte verlangte, jedem Kirchenbesucher beim Ausgang die Hand zu geben.
    Draußen stand sie noch ein paar Minuten mit Eva und Elisabeth zusammen, und deshalb musste Georg an ihr vorbeigehen, ohne sie fragen zu können, ob sie diese Woche in die Werkstatt käme. Sie hätte ihm jetzt nicht vom Streit mit ihrem Vater erzählen wollen, und noch viel weniger von diesem seltsamen Gefühl des Misstrauens, das sie auf einmal gegen sich selbst hatte. Ob nicht alles wirklich nur ein Mädchentraum war, ob sie sich nicht in etwas verrannt hatte, ob sie, um es klar und geradehe­raus zu sagen, ein echtes Ziel hatte oder eben nur einen Traum.
    Der Himmel war weiß geworden und die Sonne fahl. Es grummelte von ferne. Die Bürger sahen zu, dass sie zu ihrem Frühschoppen in die Wirtshäuser kamen, bevor der aufkommende Wind ihnen die Hüte von den Köpfen wehte. Die Frauen gingen in kleinen Gruppen nach Hause, um das Essen zu kochen. Einen kleinen Moment sah Luise sich und Elisabeth und Eva in Kopftüchern und schwarzen Kleidern dastehen und reden, in zehn und in zwanzig und in dreißig Jahren.
    »Ich muss gehen«, sagte sie unvermittelt und schroff zu den beiden, drehte sich um und ließ sie ohne ein Wort des Abschieds stehen.

    »Wohin willst du?«, fragte Paul überrascht, als er sah, wie Luise mit dem Fahrrad aus der Remise kam. Sie hatte sich umgezogen. Jetzt hatte sie wieder ihre Leinenhose, die Segeltuchschuhe und eine alte, weiße Bluse an. Die Strickjacke hatte sie zusammengeknüllt auf den Gepäckständer gespannt. »Es regnet gleich«, fügte er nach einem Blick auf den Himmel hinzu.
    Luise zuckte die Schultern. »Ich bin bald zurück«, log sie, »aber zum Essen komme ich nicht.«
    Sie stieg auf und trat in die Pedale.
    Paul rief ihr nach: »Stell dich unter, wenn es anfängt. Und steig ab, wenn es blitzt!«
    Luise hob nur die Hand zum Zeichen, dass sie ihn gehört hatte, dann war sie schon durch das Stadttor in Richtung Süden. Sie hatte den Wind halb im Rücken und fuhr, so schnell sie konnte, obwohl sie gar nicht genau wusste, wohin. Sie wusste nur, dass sie in Bewegung sein musste. In der Vorstadt fielen ein paar Tropfen, und es grummelte wieder, aber noch war das Gewitter nicht da. Aus der Vorstadt auf die Landstraße. Ein Lastwagen zog an ihr vorbei, und die Dieselwolke ließ sie husten, aber sie trat weiter. Sobald das Bärenloch in Sicht kam, bog sie ab. Die lange Steigung durch den Wald begann. Sie hob sich aus dem Sattel und begann, im Wiegeschritt hochzufahren. Sie atmete schnell und tief. Ein Kilometer. Sie wusste gar nicht, warum sie das tat. Vielleicht war es auch nur, um so zu tun, als breche man aus, als könne man wirklich in Bewegung sein. Schwere Tropfen fielen jetzt, und der Wind kam von verschiedenen Richtungen in kräftigen Stößen. Die Fichtenkronen bewegten sich unruhig, es rauschte durch den Wald. Zwei Kilometer. Luises Lungen brannten, aber sie biss die Zähne zusammen und stieg nicht ab. Sie spürte, wie ihr der Schweiß in die Augen rann; sie zwinkerte wütend und schüttelte den Kopf, aber nahm die Hände nicht vom Lenker. Die letzten dreihundert Meter waren so steil, dass das schwere Rad kaum noch vom Fleck kam, aber Luise gab nicht nach.
    »Gott – ver – dammt«, fluchte sie bei jedem Tritt keuchend durch die Zähne, und dann war sie oben. Jetzt setzte sie für einen Augenblick die Füße auf die Erde. Ihre Beine zitterten vor Anstrengung. Die Höhe war unbewaldet, und der Wind war hier schon ein Gewittersturm und fegte den immer stärker werdenden Regen in ihr Gesicht.
    »Ja!«, schrie sie zornig in den Wind. »Ja!«
    Es blitzte. Der Donner folgte in sehr kurzem Abstand, es lohnte gar nicht zu zählen. Und jetzt kam der Regen mit Macht. Es goss wie aus Eimern. Luise hatte ihre Wut im Aufstieg nicht verbraucht, drehte das Fahrrad um und stieg wieder auf, ohne sich die Mühe zu machen, die Strickjacke anzuziehen. Sie trat an und fuhr auf den Wald zu. Als die Straße sich senkte und sie Fahrt aufnahm, beugte sie sich tief über den Lenker und nahm die Ellbogen an den Körper. Solange sie konnte, trat sie noch, dann war sie zu schnell. Der Regen kam immer schräger, sie sah kaum noch etwas, aber sie beschleunigte immer noch. Der Wind pfiff ihr in den Ohren. Das hier war die steilste Straße in der Umgebung, aber nicht steil genug.
    »Schneller!«, schrie Luise böse in den Fahrtwind. »Schneller!«
    Das Vorderrad flatterte ein wenig, doch sie hielt es eisern fest. Wasser

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