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Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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stellte den Motor ab.
    »Ja«, meinte er lakonisch, als er aus dem Sitz kletterte und dabei mit einem Griff Luises Gurt löste, »Sie sollten auf jeden Fall fliegen lernen.«
    Luise stieg auch aus. Jetzt erst merkte sie, dass sie ganz durchgefroren war.
    »Danke«, sagte sie, als sie neben dem Flugzeug stand und streckte ihm die Hand hin. Sie konnte nichts anderes sagen, nichts, was ihre Gefühle hätte ausdrücken können.
    »Danke«, sagte sie noch einmal. Greben nahm ihre Hand und schüttelte sie kurz und fest.
    »Na, das geht doch fixer als mit der alten Bummelbahn«, bemerkte er jungenhaft lächelnd.
    Aus der Ferne grummelte es wieder. Das Licht begann, fahler zu werden, obwohl über ihnen die Sonne noch schien. Greben sah nach oben, und Luise verstand.
    »Sie müssen weiter«, sagte sie, »sonst kommen sie noch ins Gewitter. Wäre schade um die Maschine.«
    Greben sah sie einen Moment verdutzt an, dann musste er laut herauslachen.
    »Das ist wirklich ganz große Klasse«, rief er vergnügt. »Wäre schade um die Maschine!«
    Luise war nun doch etwas verlegen, schnallte die Riemen der Fliegerkappe ab und reichte sie ihm hin. Greben schüttelte noch immer lachend den Kopf.
    »Nee, Fräulein Anding, die haben Sie sich verdient. Das ist mein Geschenk zu Ihrem Jungfernflug. Und sie steht Ihnen so gut, da kann ich sie Ihnen doch nicht wegnehmen. Warten Sie.«
    Er sprang auf die Tragfläche und fischte seine Aktentasche aus dem Flugzeug. Auf dem Flügel sitzend öffnete er sie, holte eine Visitenkarte heraus und reichte sie ihr.
    »Wenn Sie wirklich fliegen lernen wollen und Ihr Vater es erlaubt«, sagte er, »dann kommen Sie mich in München mal besuchen. Mal sehen, was ich tun kann.«
    Luise nahm die Karte entgegen und betrachtete sie. »Arthur Greben« stand da, darunter war »Kunstflieger« aufgedruckt und: »SA-Fliegersturm«.
    »Danke«, sagte sie ein drittes Mal, vielleicht noch etwas aufgewühlter wegen all der Möglichkeiten, die sich ihr heute so plötzlich eröffnet hatten, »ich habe das nicht so gemeint, eben.«
    »Ach was, das ist genau der richtige Fliegergeist. Ich mag das«, lachte Greben gut gelaunt und kletterte in seine Messerschmitt zurück.
    »Wollen Sie die Güte haben, mir noch einmal die Maschine anzuwerfen?«, fragte er dann in übertriebener Galanterie. Luise nickte lächelnd, legte die Visitenkarte in ihre neue Fliegerkappe und die aufs Gras, lief dann um das Flugzeug herum, fasste den Propeller und drehte ihn mit Schwung an. Der Motor zündete sofort. Greben gab Gas und legte noch einmal spielerisch grüßend die Hand an seine Kappe, winkte ihr zu und startete. Sie sah ihm nach, wie er aufstieg, leicht, unbeschwert und furchtlos in Richtung der Gewitterwand, die immer näher kam. Dann nahm sie ihre Kappe aus dem Gras und begann zu rennen, der Stadt zu, so schnell sie konnte. Sie hätte nicht gehen oder laufen können nach diesem Flug. Rennen war das Einzige, was nach so einem Tag möglich war. Noch immer schien die Sonne, und hier unten auf der Erde war es heiß, aus der Wiese stieg der Geruch von Heu und am Südtor der nach Lavendel aus den Vorgärten. Luise rannte durch die Straßen ihrer kleinen, so kleinen Stadt, und erst, als sie in die Glockengasse einbog, blieb sie an der Mauer ihres Gartens atemlos stehen, denn auf der anderen Seite, im sonnendurchglühten Garten, durch die gewitterschwere Luft, hörte sie Luana singen.

11

    Schon jetzt, am frühen Vormittag, war es sehr warm im Klassenzimmer, obwohl die Fenster alle geöffnet waren. Luise saß über dem deutschen Aufsatz. Es war der erste Tag ihrer Abschlussprüfungen, und es kam ihr komisch vor, zwischen all den anderen Mädchen zu sitzen, die noch nie geflogen waren. Ich bin anders geworden, dachte sie verwundert, an einem Tag. Sie wollte nicht auf die übrigen Mädchen herabsehen. Elisabeth ließ manchmal im Gespräch ein wenig von oben herab durchblicken, dass sie schon »Erfahrungen« gemacht habe, und das hatte Luise noch nie gefallen, obwohl sie Elisabeth eigentlich mochte. Trotzdem fühlte sie sich auf einmal ein wenig abgehoben von den anderen, eine kleine Entfernung lag plötzlich zwischen ihr und ihren Kameradinnen, von denen sie die meisten schon seit neun Jahren kannte.
    Die Sonne schien durch die Blätter der großen Kastanie, die auf dem Schulhof stand, und malte verspielte Schattenflecken auf die Wand gegenüber. Die Bienen des Hausmeisters summten im Schulgarten. Von der Kirche schlug es zehn. Luise seufzte. Noch

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