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Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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sie flog durch eine Wolke. Der Motor dröhnte hell, ab und zu roch sie eine Spur verbranntes Benzin in dem Propellersturm, und nichts anderes war mehr vorstellbar als diese Kraft, die sie durch den Himmel trug, und wie weit man auch flog, da war nichts, gar nichts, was einen aufhalten konnte. Wenn nur das Benzin reichte, könnten sie um die Welt fliegen, weiter als jedes Meer. Größere Freiheit gab es nicht als diese ungeheure, herrliche Leere.

    Sie konnte nicht aufhören, immer wieder nach unten zu sehen, auch wenn ihr ab und zu Wolkenfetzen die Sicht nahmen. Da war der Main. Wie eine eigenwillige Straße lag er da, eisern glänzend in dem seltsamen Licht vor einem Gewitter. Daneben, gerade und deutlich schmaler, die Eisenbahngeleise. Ein Zug kroch auf ihnen dahin, eben hatte er Würzburg verlassen. Um wie viel sie schneller waren! Sie stiegen noch weiter, und es wurde kühler, bis Greben in den Geradeausflug überging. Jetzt überflogen sie die Mainschleife und ließen den Fluss hinter sich. Die Landschaft dort sah aus wie das Bild eines Kindes, das für jedes Feld einfach nur eine andere kräftige Farbe genommen hatte, hier Gelb, da Dunkelgrün, dort Hellgrün und ab und zu Braun. Und dann konnte sie erkennen, wie schnell sie wirklich waren: Unten glitt der Schatten ihrer Maschine über die Felder, bewegte sich in Sekunden über Strecken, für die sie mit dem Fahrrad zehn Minuten gebraucht hätte.
    Greben tippte ihr wieder auf die Schulter. Sie drehte sich zu ihm um und sah, wie er nach unten zwischen seine Beine deutete und eine auffordernde Handbewegung machte. Luise wusste nicht, was er wollte, und hob die Hände, um das deutlich zu machen. In gespielter Ungeduld langte Greben über ihre Schulter hinweg und deutete auf den zweiten Steuerknüppel vor ihr. Luise sah ihn einen Moment fassungslos an. Sie? Greben nickte aufmunternd, hob demonstrativ beide Hände hoch und lehnte sich in seinem Sitz zurück. Luise wartete keine Sekunde. Vorsichtig griff sie den Knüppel und spürte sofort den Widerstand in ihrer Hand, weil der Wind Seiten- und Höhenruder bewegte. Ganz leicht drückte sie den Knüppel nach rechts. Das Flugzeug reagierte sofort, und sie flogen in eine Kurve. Die Landschaft begann, sanft wegzukippen. Luise steuerte vorsichtig gegen, und die Maschine richtete sich wieder gerade. Dann nach links. Wieder eine Kurve, Luise spürte jede Richtungsänderung, als wäre sie ein Teil des Flugzeugs. Sie wurde mutiger und begann, die Maschine sanft hochzuziehen. Neben ihr erschien Grebens Hand mit hochgerecktem Daumen, aber sie drehte sich nicht um. Der Motor drehte höher, während sie stiegen. Luise zog noch etwas mehr an, und sie stiegen steiler, dann ging sie in den Geradeausflug und drückte schließlich die Maschine nach unten. Sie nahmen Geschwindigkeit auf. Der Wind pfiff eiskalt durch die Streben, und jetzt war es wirklich so wie damals im Sturm auf dem Dach, aber diesmal hatte sie die Arme ausgebreitet und flog. Schneller und schneller stürzten sie nach unten, es war wie das Fallen in ihren Träumen, nur eben ganz und gar, es war ein absoluter, vollkommener Rausch. Auf einmal spürte sie Grebens Hand warnend mit leichtem Druck an ihrer Schulter. Nur widerwillig zog sie an, spürte, wie sich die Maschine aufrichtete und allmählich wieder stieg; mit all dem Schwung, den sie gewonnen hatte. Erstaunt sah sie, wie knapp über dem Boden sie gewesen waren. Atemlos und mit eiskalt gefrorenem Gesicht wäre sie jetzt am liebsten aufgestanden und hätte ihr Gefühl herausgeschrien. Sie flog! Sie flog!
    Nach einiger Zeit übernahm Greben wieder. Zögernd ließ sie den Steuerknüppel los und merkte verwundert, dass sie in den Sinkflug übergingen. So kurz war der Flug gewesen! Nicht einmal eine halbe Stunde! Die Luft, die ihr ins Gesicht wehte, wurde deutlich wärmer, je tiefer sie kamen. Ein ganzes Stück vor ihnen grummelte es in einer Gewitterwand. Sie wäre jetzt gerne weitergeflogen, dachte sie, aber es war nur ein ganz leises Bedauern. Sie hatte ein Flugzeug geflogen!
    Sie waren jetzt über dem Städtchen angekommen, und Greben suchte nach einer Landemöglichkeit. Luise wies nach rechts auf eine der abgemähten Wiesen, die sich im Süden von der Stadtmauer in Richtung Bärenloch erstreckten. Greben nickte, und sie sanken weiter, viel zu schnell für Luises Gefühl. Dann, als sie glaubte, sie würden hart aufsitzen, gab Greben kurz Gas, sie landeten weich und holperten noch ein Stück über die Wiese. Greben

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