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Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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entgegengestreckt und dann wieder Platz genommen.
    »Ja«, sagte er aufgeräumt, »neue Zeiten, neue Gesichter. Was kann ich für Sie tun, Fräulein Anding?«
    Junge trug das Parteiabzeichen am Revers. Auf dem Schreibtisch stand ein Bild von ihm in SA-Uniform, hinter ihm hing ein Führerporträt.
    »Ich hatte … Ihnen eine Bewerbung geschickt«, antwortete Luise nach einem kleinen Zögern reserviert.
    Junge klopfte nachdenklich auf die Papiere, die vor ihm lagen. Dann sah er auf. »Sie müssen nicht so kühl sein«, sagte er direkt. »Sie denken da immer noch an unseren Zusammenstoß damals?«
    Luise konnte, so direkt darauf angesprochen, nicht anders als nicken.
    Junge lächelte. Luise war sich nicht klar darüber, ob sie dieses Lächeln mochte. Junge gab sich offen, jovial, geradeheraus. Jetzt machte er eine wegwerfende Handbewegung. »Alles vergessen«, sagte er, »aber hat mir gefallen, wie Sie damals Schneid bewiesen haben. Diese Herren Christen!«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Viele haben immer noch nicht verstanden, dass mit dem alten Plunder irgendwann aufgeräumt werden muss. Der alte Judengott … spukt immer noch in den Köpfen der hiesigen Sturfranken herum. Kleinstadtgeister. Das haben Sie damals schon ganz richtig gemacht, aber es hat halt noch an der Disziplin gefehlt, nicht wahr?«
    Er sah sie wohlwollend an, wie eine Schülerin, die man nur ermuntern muss, damit sie mehr leistet. Sie fragte sich, ob er vergessen hatte, dass sie Pfarrerstochter war, oder ob er das sagte, weil er annahm, dass sie so dachte wie er. Jetzt schlug er die Mappe mit ihren Unterlagen auf. Das Schulabschlusszeugnis legte er sofort mit der lächelnden Bemerkung beiseite, dass er sich ja an sie noch genau erinnere. Die anderen Zeugnisse dagegen sah er sich so gründlich an, dass Luise zunehmend den Eindruck bekam, er hätte sie noch überhaupt nicht in der Hand gehabt.
    »Ihre Noten in Mathematik sind ja ziemlich gut«, bemerkte er dann fast überrascht.
    Ziemlich gut. Luise hatte in fast allen mathematischen Fächern ein Sehr gut. Sie sagte nichts und wartete ab. Junge klappte die Mappe mit Schwung zu, setzte die Ellenbogen auf, faltete die Hände und stützte sein Kinn darauf. Es ging eine fast beklemmende Gemütlichkeit von ihm aus. Man spürte, wie wohl Junge sich in seiner neuen Machtposition fühlte, wie sicher er sich seiner selbst auf einmal war. Der verdruckste Regelfex durfte plötzlich bestimmen. Luise dachte, dass diese ganze neue Zeit wie ein Fasching war, in dem die Diener auf einmal Herren sein durften. Nur hörte der Fasching nicht mehr auf.
    »Wieso sind Sie eigentlich nicht verheiratet?«, fragte Junge. »Erbgesundes deutsches Mädel … und gemacht haben Sie sich auch ganz schön … da wundert man sich doch, nicht wahr?«
    Die Mischung aus Jovialität und Unverschämtheit war schwer zu ertragen. Luise war mit dem steifen, unbewegten Junge von damals besser zurechtgekommen. Kein Wunder, dachte sie, damals glaubte ich ja auch, dass ich ihn nach der Schule nie mehr sehen würde. Aber dieses Spiel konnte sie mitspielen.
    »Mein Verlobter ist beim SA-Fliegersturm«, sagte sie nachlässig, »Der hat im Augenblick nur sehr wenig Zeit.«
    »Ah ja«, sagte Junge ernüchtert. »So. Ja.«
    Er wischte mit den Händen über den Schreibtisch. Blätterte in ihren Unterlagen. Sah zum Bücherregal in der Ecke. Dann hatte er sich wieder gefangen.
    »Sie wissen, dass wir eigentlich keine Frauen mehr einstellen. Aber es zeichnet sich ab, dass«, jetzt lächelte Junge wieder, »Dr. Mandl uns bald verlassen wird. Dann könnte ich Sie – zunächst vorübergehend – einstellen. Ob wir Sie dauerhaft brauchen können, wird sich weisen, aber da bin ich ganz zuversichtlich. Sie werden sich ja jetzt, da Ihr Verlobter so viel zu tun hat, ganz uns widmen können.«
    Luise wusste nicht sofort, was sie sagen sollte. Sie glaubte in allem, was Junge sagte, einen Doppelsinn wahrzunehmen. Und dann sollte sie für Dr. Mandl kommen! Es erschien ihr auf einmal alles einfach nicht richtig, und sie holte tief Luft.
    »Aber Dr. Mandl ist doch weder Jude noch Kommunist«, sagte sie rasch. »Er ist noch nicht mal SPD! Und er kann doch nicht älter als fünfzig sein!«
    Junge lehnte sich zurück. Er fühlte sich jetzt wieder im Vollbesitz seiner Macht. Mit einer lässigen Handbewegung deutete er auf das Hitlerbild hinter ihm, ohne sich umzudrehen.
    »Wissen Sie, Fräulein Anding«, sagte er knapp, aber immer noch in freundlichem Ton, »der Führer

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