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Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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sein. Oder Gründe haben.

    Ja, so war es wohl. Aber sie wollte sich nicht begraben lassen. Sie ließ das Buch sinken und sah hinaus. Der feine Sprühregen perlte von den jungen Blättern und tropfte langsam von den Zweigen. Der Himmel war gleichmäßig grau. Alle Farben wirkten gedämpft. Das Rot der Ziegeldächer gegenüber wirkte dunkel, das Weiß der gekalkten Mauer schattig, das Grün des kommenden Rasens war wie verschleiert. Die Gartengeräte standen durcheinander an die Holzwand der Remise gelehnt und sahen mit ihren nassen Stielen und den rostigen Blättern, Zinken, Schneiden so aus, als seien sie sehr lange nicht benutzt worden. Luise musste plötzlich lächeln. War wohl auch so. Papa hatte zwei-, dreimal im Jahr Anfälle von Gartenleidenschaft, legte dann Beete an, säte und pflanzte alle Arten von Gemüse, vergaß aber schon nach der zweiten Woche das Hacken und Gießen, und was dann den Sommer überlebte, erntete er stolz als Gottesgabe. Er war einfach zum Gelehrten geboren. In diese Gedanken versunken sah sie plötzlich aus den Augenwinkeln eine Gestalt durch den Hof zur Remise gehen. Papa war es nicht, aber der General schlug auch nicht an, obwohl er sicher im Hof unter dem Treppenaufgang lag. Normalerweise bellte die Dogge bei Fremden. Jetzt erst bemerkte sie auch, dass in der Remise Licht brannte. Vielleicht war ihr das vorher nicht aufgefallen, weil es ja erst allmählich zu dämmern begann. Das war komisch, dachte sie und wurde auf einmal von der Angst angeflogen, es könnte die Polizei sein oder vielleicht sogar die Gestapo, die ihren Vater abholen wollte. Aber die hätten doch sicher geläutet, dachte sie und merkte dabei, wie sie sich im Denken noch selbst belog: Wozu sollten sie klingeln?
    Luise legte, plötzlich zitternd, das Buch weg und ging aus der Küche rasch durch den Gang zur Hintertür, die in den Garten führte. Es war still im Hof. Nur sehr leise hörte man das Nieseln des Regens. Luise legte ein Ohr an das Tor der Remise. Ein gleichmäßiges, leicht zischendes Klacken war zu hören, das Geräusch einer kleinen Maschine, das sie nicht gleich zuordnen konnte. Aber dann stieg ihr plötzlich von irgendwoher ein Hauch von Spiritusgeruch durch die kühlfeuchte Luft in die Nase, und sie wusste, was es war. Papa hatte den Matrizendrucker in die Remise geschafft. Erleichtert stieß sie das Tor auf und blieb dann vollkommen überrascht im Eingang stehen. Am Matrizendrucker schwang die Kurbel noch ein, zwei Umdrehungen, und zwei weitere Blätter flogen in den Auffangkorb. Bis ins Mark erschrocken, aus der Arbeit am Drucker hochgefahren, weil er sie nicht gehört hatte, stand ein Mann, atmete panisch und beruhigte sich erst allmählich, als er Luise erkannte.
    »O Gott, Luise!«, sagte er schwach und lehnte sich an die Werkbank, auf der die Maschine stand, »ich dachte, mir bleibt das Herz stehen.«
    »Guten Abend, Georg«, sagte Luise.

8

    Sie standen im hellgrauen Dämmerlicht des langen Frühlingsabends auf der Terrasse des Pfarrhauses. Es war still geworden. Man hörte nur das gleichmäßige Tröpfeln von den Blättern, den Traufrinnen, den Ziegeln der Mauerkrone, nachdem der Nieselregen aufgehört hatte. Georg rauchte. Luise sah, dass seine Hände immer noch zitterten. Die Glut der Zigarette leuchtete in der feuchten Luft. Sie schwiegen. Luise wusste nicht, was sie sagen sollte.
    »Seit wann macht ihr das?«, fragte sie schließlich.
    Georg zuckte mit den Schultern. »Ich bin ab und zu im Gottesdienst gewesen, seit du weg warst«, erzählte er, »und seit die anderen an der Macht sind, öfter. Weil ich gemerkt habe, dass der Herr Pfarrer … als dein Vater zum Führergeburtstag nicht hat läuten lassen, da hab ich gewusst, dass er auch nicht einverstanden ist mit dem, was so passiert in unserer kleinen Stadt.« Die letzten Worte sagte er voller Hass.
    »Und dann hat mein Vater dir angeboten, seinen Spiritusdrucker für Flugblätter zu benutzen?«, fragte Luise einigermaßen ungläubig.
    Georg lächelte schief und drückte seine Zigarette aus. »Ich habe ihn dann einfach einmal gefragt, ob ich bei ihm ein paar Briefe vervielfältigen dürfte. Dann hat er mich lang angeschaut und gesagt, dass er den Matrizendrucker in die Remise stellt. Und dass die Remise immer offen ist.«
    »So«, sagte Luise. Sie dachte rasch nach. »Weiß mein Vater, dass du hier bist?«
    Georg schüttelte den Kopf. »Er hat nur gesagt, dass der Schuppen immer offen ist. Ich hab zu ihm gesagt, dass ich nicht öfter als

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