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Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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registrierte, dass seine Hand ganz leicht zitterte, als er sagte: »Die Kollekte des heutigen Gottesdienstes ist für die Arbeit der Bekennenden Kirche bestimmt. Gott segne die Geber und die Verwendung der Gaben.«
    Dann ging er zur ersten Bank, aber anstatt wie sonst den Korb durch die Reihen wandern zu lassen, ging er selbst durch den Gang und sammelte das Geld ein. Sogar dem Mesner und seinen beiden Parteigenossen hielt er den Korb hin, aber die sagten etwas Scharfes, das Luise nicht verstand. Als er an ihr vorbeikam, hob er in einer winzigen Geste die Schultern, als wollte er sagen: Ich konnte nicht anders. Seine Hand zitterte noch immer, im Korb klimperte das Kleingeld, sie musste schlucken, nickte und warf ihr Fünfzigpfennigstück in den Korb. Dann ging er zurück zum Altar, stellte den Korb unter das Kreuz, deckte ein Tuch darüber, drehte sich zur Gemeinde und hob die Arme zum Segen.
    »Der Herr segne euch und behüte euch, er erhebe sein Angesicht auf euch …«
    Noch einmal setzte die Orgel ein, er ging zur Musik durch den Gang, schmal, aber aufrecht, und öffnete beide Kirchentüren. Nur die Glocken fehlten, denn es war keiner da, um sie zu läuten. Luise stand auf. O Gott, dachte sie nur, als sie den Mesner sah, der mit den beiden Männern redete und dabei mit seinem Notizbuch gestikulierte, o Gott!

    Luise wachte erst nach einer ganzen Zeit vom Gebell des Generals auf. Sie hatte es in einen wirren Traum eingebaut und wusste einen Augenblick lang nicht, ob sie es nur geträumt oder tatsächlich gehört hatte. Es war Neumond und die Dunkelheit in ihrem Zimmer fast undurchdringlich. Wieder hörte sie den General mit seiner tiefen Stimme bellen, und dann hörte sie auch, warum. Es klingelte an der Tür. Mit einem Schlag war sie wach und setzte sich auf. Sie wusste, wer klingelte. Aber sie wusste nicht, was sie tun sollte. Ihr erster Impuls war, aufzustehen und nach unten zu gehen. Aber sollte sie die Tür öffnen? Jetzt erst, mit sekundenlanger Verzögerung, flutete die Angst in ihr hoch, und sie musste plötzlich schneller atmen. Wieder klingelte es, und es wurde hart geklopft. Der General bellte sich schier die Seele aus dem Leib. Luise hörte, wie über dem Gang die Tür von Pauls und Luanas Schlafzimmer aufging. Jetzt sprang sie auch auf und suchte mit zitternden Händen nach dem Lichtschalter. Sie hörte Pauls Stimme und dann die ihres Vaters.
    »Ich komme!«, rief er.
    Luise hatte ihre Sachen gestern in den Wäschekorb getan. Hastig fingerte sie ein Kleid aus dem Schrank und warf es über. Aber bevor sie aus dem Zimmer ging, horchte sie noch einmal. Unten wurde eben die Haustür aufgesperrt; man hörte Paul und Papa sprechen, und immer noch bellte der General. Dann drangen die groben Stimmen von fremden Männern herauf. Sie zögerte. Der General bellte wie verrückt, und auf einmal knallte ein Schuss, und dann war es still. Jetzt riss sie die Tür auf und rannte durch den dunklen Gang zur Treppe, rannte hinunter und sah dort unten Papa im Schlafrock stehen, Paul daneben und drei Uniformierte, von denen einer eben die Pistole wieder einsteckte. Erst dann fiel ihr Blick auf den General, der auf dem Steinboden lag. Die Birne im Flur war schwach, deshalb wirkte die dickflüssige Pfütze, die sich um seinen Schädel langsam ausbreitete, fast schwarz.
    »Kommen Sie mit!«, sagte der Mann, der geschossen hatte, zu Papa.
    »So?«, fragte ihr Vater hilflos und sah an sich herab. Er war im Pyjama und hatte nur den Morgenmantel übergeworfen.
    »Ziehen Sie sich halt was an!«, sagte einer der beiden anderen mit unwirklicher Gemütlichkeit, »wir sind ja keine Unmenschen.«
    »Wieso?«, rief Luise mit unnatürlich heller Stimme, »wieso nehmen Sie ihn mit? Es ist mitten in der Nacht!« Sie merkte erst, als sie es gesagt hatte, wie kindisch es klang, wie hilflos.
    »Gehen Sie bitte nach oben!«, befahl der mit der Pistole kurz.
    Luise blieb stehen. »Wohin bringen Sie ihn? Was … was werfen Sie ihm vor?«
    Paul drehte sich zu ihr. »Bitte, Luise«, bat er, »geh nach oben. Geh zu Luana. Bitte.«
    Luise wusste nicht, was sie tun sollte. Papa kam aus seinem Zimmer. Er hatte sich hastig angezogen und trug keine Krawatte.
    »Es ist gut, Luise«, sagte er mit schwankender Stimme, »geh nach oben. Ich habe … ich habe nichts Falsches getan. Ich bin bald wieder da.«
    Einer der Männer lachte. Halblaut nur, aber trotzdem hörte es sich mitleidlos an.
    Paul machte eine Handbewegung. »Bitte, Luise!«
    Es klang so

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