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Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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eindringlich, dass sie nachgab. Langsam stieg sie die Treppe wieder hoch.
    »Kann ich … muss ich etwas mitnehmen?«, fragte Papa, aber er bekam keine Antwort. Noch bevor sie oben war, klappte die Haustür, und als sie zu Luana ins Zimmer eilte, die sich auch angezogen hatte und am Fenster stand, hörten sie einen Motor anspringen, und die Scheinwerfer eines großen Wagens strichen beim Wenden über den Hof. Dann war es still.
    »Luana«, sagte Luise hilflos, »Luana!«
    Luana nahm ihre Hand und hielt sie. So standen sie, bis Paul die Treppen nach oben stieg und zu ihnen ins Zimmer trat.

14

    Diesmal kam Papa nicht am nächsten Tag wieder. Sie waren die Nacht über wach geblieben und hatten immer und immer wieder dasselbe gesagt. Dass ihm ja eigentlich nichts vorzuwerfen war. Dass er befragt und heimgeschickt würde wie beim letzten Mal. Oder dass sie ihn für eine Woche in Schutzhaft nehmen würden wie so viele andere. Zur Abschreckung. Wieder und wieder sagte Paul, dass solche Sachen vorkämen, dass er am nächsten Tag zum Gauleiter gehen würde und Papa ja durchaus deutsch und national dachte. Dass man das alles geradebiegen konnte.
    Sie versicherten sich das gegenseitig zum wiederholten Mal, und dieses nächtliche Beisammensitzen in Pauls und Luanas Schlafzimmer war deshalb so schrecklich hoffnungslos, weil keiner von den dreien das glaubte, was er den anderen zur Beruhigung sagte.
    Als es dämmerte, stand Luana auf. Es war erst so gegen fünf Uhr, aber die Nacht war vorbei. Wenigstens das.
    »Ich mache uns Kaffee«, sagte sie.
    Luise ging ins Bad, als sie Luana auf der Treppe einen leisen, aber tief schockierten Laut des Entsetzens ausstoßen hörte. Sie lief ihr nach und sah, dass sie immer noch auf der Treppe stand und in den Gang hinuntersah. Paul und sie hatten beide vollkommen vergessen, ihr zu erzählen, dass die Gestapoleute den General erschossen hatten. Und jetzt starrte Luana auf den Hundekadaver, der immer noch im Flur lag, den Kopf in einer dunklen, großen Pfütze Blut.
    »Ich dachte … ich habe geglaubt, sie haben vielleicht in die Decke geschossen. Ich … ich wusste das nicht.«
    Luise ging wortlos an ihr vorbei nach unten, holte die Hundedecke aus dem Korb, in dem der General geschlafen hatte, legte sie neben ihn und wälzte ihn mit wütender Energie da­rauf. Dann schleifte sie ihn mit der Decke durch den Gang zur Terrassentür, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, wo er anstieß, und von dort über die Terrasse die kleine Treppe in den Garten hinunter. Der Körper schlug dumpf auf jeder Stufe auf. Und erst dann, als sie den General im Morgenlicht auf dem Rasen liegen sah, das Blut, das in seinem Fell an den Schläfen klebte, da spürte sie das erste Mal in dieser Nacht einen heißen Hass in sich aufsteigen, der die Angst und die Sorge beinahe ganz verdrängte. Es war falsch und böse, was sie taten! Und sie sollten dafür bezahlen! Sie wünschte sich, stark zu sein. Sie wünschte sich, den anderen auch wehtun zu können, auch ihre Hunde zu erschießen. Sie wünschte sich, auch den anderen die Verwandten wegnehmen zu können, einfach so, mitten in der Nacht. Sie stand breitbeinig über dem toten Hund, den sie hinuntergeschleift hatte, hatte hinunterschleifen müssen, weil sie nicht stark genug war, ihn zu tragen, immer noch in dem Kleid, das sie heute Nacht hastig übergeworfen hatte, spürte die Kühle der Morgenluft an Armen und Beinen, und ein Zorn, ein rasender Zorn schüttelte sie auf einmal mit großer Kraft.
    »Nein!«, schrie sie in den Morgen, so laut sie konnte. »Nein! Nein! Nein!«

    Am Nachmittag ging sie zusammen mit Paul zur Polizeiwache. Ob sie ihren Vater besuchen und ihm ein paar Sachen bringen könnten. Sie kannte den Polizisten hinter der Holztheke noch aus Kinder- und Jugendtagen. Ein Stadtpolizist, wie man ihn sich vorstellte. Einer, der morgens mit seinen weißen Handschuhen auf der Kreuzung am Markt gestanden hatte und für sie und ihre Freundinnen auf dem Weg zur Schule den Verkehr angehalten hatte. Einer von denen, die ins Pfarramt kamen; immer dann, wenn es einen tödlichen Unfall gegeben oder sich einer aufgehängt hatte. Einer, mit dem Papa dann zu den Familien gegangen war, um ihnen die Nachricht zu bringen. Sie kannte seinen Namen nicht, aber sein Gesicht. Er hingegen kannte ihren Namen, aber ins Gesicht sah er ihr nicht.
    Nein, ihren Vater könnten sie nicht sehen, er sei schon in der Nacht verbracht worden.
    Luise fragte, wohin. Der Polizist zuckte die Schultern

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