Ein Lord entbrennt in Leidenschaft
zutreffend war. Ganz zweifellos würde Amelia jeden Anstand in den Wind schlagen und akzeptieren, was immer er ihr an bot, wenn sie sich nur fi nanziell reichlich entschädigt sähe. Je reichlicher, desto weniger Gedanken würde sie sich über den Verlust ihrer Tugend machen. Rasenby hatte recht. Amelia würde – welch abscheulichen Ausdruck hatte er gebraucht? – gep fl ückt werden, von irgendeinem Mann mit voller Börse, offener Hand und Lust auf jungfräuliches Fleisch.
Reuig gestand Clarissa sich ein, dass sie Rasenby keine Gemahlin wie Amelia wünschte. Das konnte für beide nur in ein Jammertal führen. Nicht etwa, weil ich selbst etwas für ihn emp fi nde! Sie war sich einfach nur sicher, dass die beiden sich gegenseitig todunglücklich machen würden. Und das hatte schließlich selbst ein Frauenheld nicht verdient. Nein, Kit und Amelia durften – und würden – nicht heiraten.
Amelia in Person unterbrach diese Überlegungen. Sie stürmte aufgebracht in den Frühstückssalon, die Wangen hochrot vor Zorn. Sie war noch nicht angekleidet, hatte jedoch schon das Nachthäubchen abgelegt, sodass ihr die unfrisierten blonden Locken lose ums Gesicht hingen, und auch das leichte Negligé hatte sie nur fl üchtig übergeworfen.
„Clarissa! Ich habe dich schon überall gesucht! Ach, was für eine grässliche Nacht ich doch hinter mir habe! Kaum ein Auge habe ich zugetan.“ Ohne zu bemerken, dass auch ihre Schwester nicht sehr ausgeruht wirkte, ließ sie sich auf einen Stuhl fallen. Ihr zuckender Mund und die verzerrten Züge kündeten von einem baldigen Wutausbruch, der mit einem Tränenstrom einhergehen würde. Erst griff sie nach einem Brötchen, warf es dann jedoch mürrisch wieder in den Korb. „Die sind kalt! Und der Kaffee wahrscheinlich auch! Ich will frische! Wo ist das ver fl ixte Mädchen, wenn man es braucht? Ehrlich, Clarrie, verlange ich etwa zu viel, wenn ich erwarte, Dienstboten vorzu fi nden, die ihren Aufgaben gewachsen sind? Wie ich es hasse, arm zu sein!“
Während Clarissa nach dem Mädchen läutete, musterte sie ihre Schwester düster. Einen von Amelias berüchtigten Ausbrüchen konnte sie jetzt ganz bestimmt nicht brauchen. Dann konnte man nur zusehen, bis die Flut sich selbst erschöpfte. Resigniert lehnte sie sich zurück und wartete ab.
„Schau mich nicht so nachsichtig an, als wäre ich ein lästiges Kind! Ach, Clarrie, du kannst dich einfach nicht in mich hineinversetzen. Wie solltest du auch! Manchmal wünsche ich mir beinahe, ich wäre nicht so schön. Wenn ich wie du nur hübsch wäre, fände ich das alles nicht so schlimm.“
Clarissa, gegen solch beiläu fi ge Kränkungen abgehärtet, fuhr stumm mit ihrem Frühstück fort. Schon hegte sie die Hoffnung, der Gefühlssturm würde ausbleiben, da Amelia auf ihrem Stuhl in sich zusammensank, doch sie freute sich zu früh, denn plötzlich sprang ihre Schwester, einen angewiderten Jammerton ausstoßend, auf, wobei sie den Stuhl umstieß, und begann wie rasend im Zimmer auf und ab zu laufen.
Mit einem Seufzer sagte Clarissa: „Komm, Amelia, was quält dich? Setz dich doch her und erzähl es mir.“ Einladend klopfte sie auf den Stuhlsitz, doch Amelia hörte nicht.
„Weißt du was, Clarrie? Mir hängt mein Leben zum Halse heraus! Sieh mich an!“ Sie blieb vor dem Spiegel über dem Kaminsims stehen und musterte sich einen Moment, sichtlich befriedigt von ihrem Bild. „Also, ich bin wirklich entzückend, das sage ich ganz ohne Eitelkeit, schließlich sehe ich es ja mit eigenen Augen. Und alle sagen es – Mama, du, Chloe, wirklich alle. Diese Schönheit muss doch einen Zweck erfüllen! Sie muss mir eine großartige Heirat ermöglichen. Ich will nicht versauern, so wie du.“ Sie wurde lauter. „Ich bin dazu bestimmt, mich gut zu verheiraten: Dann ist Schluss mit all meinen Problemen.“
Sarkastisch vermerkte Clarissa, dass Amelia wie stets nur ihr eigenes Geschick sah. Keinen Gedanken verschwendete sie an ihre Mutter. Erst gestern Abend hatte sie selbst Lord Rasenby vorgeworfen, dass er sich seiner Verantwortung durch Geld entziehe, manchmal jedoch wünschte sie sich, sie hätte diese Möglichkeit. Reichtum würde ihr die meisten Lasten nehmen, die auf ihren schmalen Schultern ruhten – die Schulden ihrer Mutter, Amelias fehlende Mitgift, die Sorge um die Haushaltsführung, wenn wieder einmal nicht einmal genug Kohle für die Kamine da war und der Einkaufszettel rapide zusammengestrichen werden musste.
Unbewusst sprach Amelia
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