Ein Lord entdeckt die Liebe
hätte er den einen oder anderen Gentleman, der Chloe mit zu viel Bewunderung musterte, mit einem scharfen Schwert in die Flucht geschlagen. Wie konnte Lord Graven es wagen, den Blick auf ihrem Ausschnitt ruhen zu lassen? Mr Rankin war sogar so weit gegangen, ihr ein unmoralisches Angebot zu machen. Woraufhin Signor Pisano ihm einen kräftigen Schlag mit seinem Spazierstock verpasst hatte. Nur das hatte Braedon davon abgehalten, sich auf den zudringlichen Mann zu stürzen und ihm einen Kinnhaken zu verpassen.
Immer wieder musste er zu Chloe hinschauen. Seit einiger Zeit schon unterhielt sie sich angeregt mit Conover. Verflucht! Der Earl war ein gut aussehender Gentleman, und natürlich war er nach der neuesten Mode gekleidet.
Chloe und er verstanden sich offenbar hervorragend. Es sah ganz so aus, als wolle sie ihn von irgendetwas überzeugen. Braedon kannte den Ausdruck auf ihrem Gesicht nur zu genau. Erstaunlich war, wie gelassen Conover blieb, obwohl eine Frau glaubte, etwas besser zu wissen als er. Ja, er nickte tatsächlich, als habe Hardwick ihn von ihrem Standpunkt überzeugt.
Jetzt allerdings betrachtete der Gentleman Hardwicks hübsch frisiertes, glänzendes Haar. Dann ließ er den Blick kurz auf ihren Brüsten ruhen. Chloe lachte über eine Bemerkung des Earls. Braedon hingegen knirschte mit den Zähnen und stellte sich vor, wie gut es tun würde, Conover mit der japanischen Lanze aufzuspießen.
Er hielt es einfach nicht länger aus! Ohne recht zu wissen, was er tun wollte, trat er zu den beiden. „Guten Abend, Conover“, sagte er. Dann kam ihm das Schicksal zu Hilfe. „Hardwick!“ Er deutete auf die Treppe, auf der gerade ein Lakai erschien, um den Anwesenden mitzuteilen, dass der erste Vortrag gleich beginnen würde. „Es geht los!“
Gebannt lauschte Chloe jedem einzelnen Redner. Dabei ging es nicht nur um Skandas Speer. Jeder der Vorträge beschäftigte sich mit einer anderen legendären historischen Waffe. Einigen wurden magische Kräfte zugeschrieben. Das schien nicht allen Anwesenden zu gefallen. „Das ist ja eine Märchenstunde“, zischte jemand abwertend.
Die Atmosphäre änderte sich, als der Earl of Conover ans Rednerpult trat. Mit großer Sachlichkeit sprach er über Skanda, den Gott des Krieges in der Hindu-Mythologie. Er berichtete, wann und wo Skanda zum ersten Mal erwähnt worden war und welche Eigenschaften man ihm zuschrieb. Er hatte Zeichnungen mitgebracht, die vieles von dem illustrierten, was er zu berichten wusste. Darstellungen des Kriegsgottes, aber auch Beispiele dafür, wie das Bild der Gottheit sich im Laufe der Jahrhunderte verändert hatte. Schließlich kam er auch auf den Speer zu sprechen. Anscheinend gab es mehrere Quellen, die die Waffe genau beschrieben, die Länge und Beschaffenheit des Schafts, die Form und Größe der Spitze oder auch die Edelsteine, die den Speer zierten.
Wenn Conover eine Pause machte, war es so still im Saal, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören. Die Anwesenden schienen den Atem anzuhalten, so gespannt lauschten sie. Auch Braedon war so fasziniert, dass er vergaß, seine übliche Miene distanzierter Gelassenheit aufzusetzen.
Chloe schaute zu ihm hin, und ihr Herz begann schneller zu schlagen. Er war durch und durch ein Krieger! So viel zielgerichtete Energie, so viel Kraft! Alle anderen Männer im Saal wirkten blass im Vergleich zu ihm. Kein Wunder, dass sie verrückt nach ihm war.
Sie verzehrte sich vor Verlangen nach ihm. Das war die reine Wahrheit. Eine Wahrheit, die ihr Angst machte. Wie hatte sie nur zulassen können, dass es so weit kam? Damals in Denning Castle war sie klüger gewesen. Sie war fortgegangen, ehe es zu spät war. Doch vergeblich! Indem sie dem Marquess gestattete, erneut Kontakt zu ihr aufzunehmen, hatte sie ihm auch gestattet, ihr Herz zu erobern. Welch eine Tragödie! Sie liebte ihn und würde nie einen anderen lieben. Er jedoch konnte oder wollte ihre Liebe nicht erwidern.
Donnernder Applaus riss sie aus ihren Gedanken. Die Anwesenden hatten sich von ihren Sitzen erhoben. Chloe wollte es ihnen gleichtun, musste aber feststellen, dass ihre Knie sogleich nachgaben. Denn gerade war ihr klar geworden, dass dies der Anfang vom Ende war. In ein paar Tagen würde Lady Ashtons Ball stattfinden. Irgendwer würde Skandas Speer erwerben. Nach diesen Ereignissen gab es keinen Grund mehr für den Marquess, in London zu bleiben.
„Einen informativeren Vortrag hätte man kaum erwarten können“, sagte Braedon und
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