Ein Lord mit besten Absichten
überraschte, ihn hier anzutreffen. Warum sollte es auch? Hatte Gillian Nick bisher nicht in jedes ihrer haarsträubenden Abenteuer einbezogen?
»Nicht in jedes, Papa«, antworte Nick ernst. »Sie hat mir nicht erlaubt, deine Bettkäfer kennenzulernen.«
»Betthäschen«, verbesserte Noble in Gedanken. »Äh … das sind … ach, zum Teufel, egal. Das spielt keine Rolle. Wo ist deine Mutter? Ich kann sie nirgendwo sehen.«
»Sie ist mit dem Mann, der nichts unter seinem Rock anhatte, zur Tür hinausgegangen.«
»Seinem Kilt«, erwiderte er geistesabwesend, um Nick dann plötzlich bei den Schultern zu packen. »Sie ist was?«, fuhr er den Jungen an. »Wann ist sie gegangen?«
Nick wurde blass. »Erst vor ein paar Minuten, aber, Papa, ich wollte dir noch von dem …«
Noble war schon weg, bevor Nick den Satz beenden konnte.
»… Mann erzählen, der dich verletzt hat«, ergänzte er leise.
»McGregor!«, brüllte Noble, während er sich durch die Restmenge Schaulustiger drängte, mit einem Gefühl, als würde ihm gleich sein Herz aus der Brust springen. »McGregor!«
Er hatte es getan; dieser Mistkerl hatte es tatsächlich getan. Er hatte Nobles Seele genommen und zu einer leblosen Masse zerquetscht. Wenn er ihr etwas angetan hatte … bei diesem Gedanken schnürte sich Noble der Magen zusammen. Er scharte seine Männer um sich und raste, nachdem er ihnen kurz und ordentlich den Kopf gewaschen hatte, weil sie Gillian aus den Augen gelassen hatten, die Treppe hinab nach draußen, alle noch bei Jackson verbliebenen Leute eilig hinterdrein.
Noble lief vor einem Haus in Cheapside auf und ab, während er vor sich hin murmelte, was er mit diesem gottverdammten Mörder McGregor anstellen würde, sobald er ihn in die Finger bekam. Er wünschte sich nichts anderes, als auf dem nächstbesten Pferd zu sitzen und seiner Gillian hinterherzujagen; dem Mann hinterherzujagen, der sie direkt vor seinen Augen entführt hatte; etwas zu unternehmen, egal was, um sie zu suchen.
»Wenn er ihr auch nur ein Haar krümmt«, drohte er mit erhobener Faust, »bei Gott, dann …«
»Reiße ich ihm den Kopf ab und trete ihn in den Sand, ja, Noble, das wissen wir schon«, sagte Lord Rosse, als er die Eingangstreppe zu seinem Freund hinabstieg.
Noble schwang herum und packte den Marquis am Halstuch. »Was hast du erfahren? Wo bringt der Teufel sie hin? Was hat der Butler dieses gottverdammten Mörders gesagt?«
»Noble, beruhige dich, du machst deinem Sohn Angst.«
Rosse wartete, bis Noble losgelassen hatte, ehe er fortfuhr. »Carlisles Butler weiß nicht, wohin er gegangen ist, aber er hat bestätigt, dass er schon vorher eine kleine Tasche hatte packen lassen, also war es von langer Hand geplant.«
»Nein, das hier nicht«, widersprach Noble und machte sich wieder daran, hin- und herzulaufen, während sich in seinem Kopf alles drehte und er verzweifelt versuchte, das Ganze zu begreifen. »Er konnte nicht wissen, dass Gillian bei Jackson auftauchen würde. Nein, er hatte etwas anderes geplant, etwas, das er fallen ließ, als er merkte, dass der Aufruhr bei Jackson die Gelegenheit war, um sie zu entführen.«
Er blieb vor seinem Freund stehen und strich sich aufgeregt durchs Haar. »Wo, Harry, wo zur Hölle bringt er sie hin?«
»Ich habe keine Ahnung, Noble. Und ich wünschte wirklich, ich wüsste es. Ich konnte es mir zwar nicht vorstellen – denn ich war mir so sicher, dass Carlisle unschuldig ist –, aber ich glaube, du hattest recht. Mein Riecher ist nicht mehr besonders gut.«
Noble gab seinem Freund einen Klaps auf die Schulter, ehe er wieder auf und ab lief. »Es ist nicht deine Schuld, alter Freund. Ich war für sie verantwortlich – was ist los, Crouch?«
»M’lord, einer der Bow Street Runners is’ zurück.«
Noble raste zu dem Mann, der, noch in seine Livree gekleidet, vom Pferd sprang. »Sie sind Richtung Colfax gefahren«, berichtete er außer Atem. »Wir sind ihnen zur östlichen Straße gefolgt. Davey klebt an ihren Fersen, aber ich wette einen Jahresbedarf Gin, dass sie auf dem Weg zum Nag’s Head Inn in Colfax sind.«
Noble war schon in der Kutsche, noch ehe der Mann ausgeredet hatte, und befahl dem Kutscher, die Pferde anzutreiben.
»Papa! Lass mich nicht allein hier!«
Mit einem Fluch stieß Noble die Tür auf, packte seinen kleinen Sohn und zog ihn in die Kutsche, als die Pferde lossprangen.
»Wir sind gleich hinter dir«, hörte er Rosse rufen, als der Wagen unter den lauten Flüchen des
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