Ein Lord mit besten Absichten
Beckman wirkte erstaunt, die beiden Damen zu erblicken, die sich an diesem Ort einen Weg durch die Menge bahnten. Er stammelte eine Entschuldigung und stahl sich davon.
»Hmph. Was ist Beckman doch nur für ein Schwächling! Er hatte noch nie Rückgrat. Oooh, sieh nur, Gilly, Anne sitzt beim Duke of Firth auf dem Schoß! Wie raffiniert von ihr. Ich frage mich, wie sie das geschafft hat.«
»Verzeihung«, sagte Gillian höflich, als sie an zwei Männern vorbeischlüpfte. »Char, komm schon. Bleib schön bei mir, damit du nicht noch mit einem der Betthäschen verwechselt wirst.«
Charlotte folgte ihr zögernd mit glänzenden Augen. »Meinst du, das wäre möglich?«
»Hier ist eine Tür. Nick, bleib hinter mir. Charlotte, du bist für seine Sicherheit verantwortlich.« Charlotte salutierte und legte schützend einen Arm um den Jungen.
Gillian warf die Tür ohne Umschweife auf und verharrte, um sich einen Überblick zu verschaffen. Es waren mehrere Männer anwesend, einer von ihnen groß und stämmig, der nur der berühmte Gentleman Jackson persönlich sein konnte. Er sprach gerade mit Noble, während Lord Rosse und Sir Hugh etwas abseitsstanden.
Noble stand mit dem Rücken zur Tür und war dabei, die ersten Kleidungsstücke abzulegen. Gleich vor Gillian befand sich Lord Carlisle in einem farbenfrohen Kilt, der ihm prächtig stand. Sie verschwendete jedoch keine Zeit damit, seine attraktive Erscheinung zu bewundern, da er soeben mit der Hand aus seinem Strumpf auftauchte und zu Noble blickte. In dieser Hand hielt er einen kleinen Dolch, und zwar auf eine Weise, die ganz klar auf einen Wurf hindeutete.
Auf Noble.
In den Rücken.
Das Ergebnis so einer heimtückischen Tat wäre ohne Zweifel der Tod ihres geliebten Mannes.
Aber nicht mit mir!, dachte Gillian, als sie sich auf den Schotten stürzte. Der allerdings im selben Moment einen Schritt nach vorne tat, sodass ihre Hand seinen Arm verfehlte und stattdessen eine Handvoll seines Kilts erwischte. Sie zögerte nicht für den Bruchteil einer Sekunde – Nobles Leben stand auf dem Spiel, und nur ihr Einsatz konnte ihn vor Schaden bewahren. Sie krallte sich mit beiden Händen in den Stoff und zog so fest, wie sie nur konnte.
»Ich würde sagen, das beantwortet die Frage, was ein Schotte unter dem Kilt trägt«, hörte sie Charlotte sagen, die mit weit aufgerissenen, leuchtenden Augen hinter ihr stand.
Nick drängte sich ins Zimmer. »Er trägt gar nichts darunter«, stellte er verblüfft fest, während er Gillian anschaute.
»Genau«, antwortete sie, abgelenkt von der Szene vor ihr. Es war nicht die erschrockene Miene von Lord Carlisle, sondern der stahlharte, messerscharfe Blick im hübschen Antlitz ihres Ehemannes, der sie sich plötzlich weit weg wünschen ließ.
»Guten Tag, Noble«, sagte sie mit einem schwachen Lächeln. »So ein Zufall, dich hier zu treffen.«
»Das wird nicht noch einmal passieren, Jackson, das versichere ich Ihnen. Und wenn ich meine Frau einsperren muss, hierher lasse ich sie auf gar keinen Fall noch einmal kommen.«
Gentleman Jackson ließ sich nicht erweichen. Wie wichtig ihm Lord Westons Gönnerschaft auch war, dass sich so ein Chaos wie an diesem Tag wiederholte, durfte er nicht zulassen. »Tut mir leid, Mylord. Es ist das Beste, wenn Sie von nun an eine andere Boxschule fördern.«
Noble warf einen Blick auf das Debakel. Zwar waren die meisten Männer abgezogen, als klarwurde, dass das Duell nicht stattfand, doch nicht auf friedliche Weise. Sie hatten Stühle auf dem Boden zerschmettert, Becher mit Wein und anderen Getränken an die Wand geschleudert, Beistelltische aus den Fenstern geworfen und die prächtigen goldenen Vorhänge heruntergerissen und auf die unter den Fenstern versammelte Menge geschleudert. Und inmitten der ganzen Zerstörung erblickte er unter den wenigen Übriggebliebenen eine Phalanx seiner Lakaien. Außerdem liefen Gillians Hunde von einem Mann zum nächsten und stellten eigene Untersuchungen an, während seine Exmätressen – er wollte gar nicht wissen, was sie hier zu suchen hatten, obwohl ihm klar war, dass Gillian die Finger im Spiel haben musste – sich eifrig bemühten, die noch anwesenden Herren zu betören. Er wünschte ihnen viel Erfolg. Sollten sie schnell geeignete Beschützer und Gönner finden und dann hoffentlich ein für alle Mal aus seinem Leben verschwinden.
»Papa?« Sein Sohn zog ihn an der Hand. Noble legte die andere auf den Kopf des Jungen und staunte, dass es ihn keineswegs
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