Ein Lord mit besten Absichten
kann?«
Charlottes Blick ließ noch immer Bedenken erkennen. »Nein, aber ich nehme nicht an, dass dies ein großes Problem darstellen dürfte. Ich kann mir vorstellen, dass Weston froh über ein wenig Offenheit ist.«
»Womit ich dann alle notwendigen Merkmale hätte, um die perfekte Gemahlin für den Schwarzen Earl abzugeben?«
»Ja, glaube ich schon«, entgegnete Charlotte vergnügt und prüfte nun ihre eigene Figur in einem langen ovalen Spiegel.
»Eines aber fehlt.«
»Was denn?«
»Er ist nicht in mich verliebt.«
Charlotte drehte sich um und blickte ihre Cousine mit einem etwas mitleidigen Lächeln an. »Wozu braucht es denn Liebe, damit der Earl um deine Hand anhält?«
»Charlotte! Ich könnte doch unmöglich einen Mann heiraten, der mich nicht liebt.« Charlotte bedachte sie mit einem matten Blick, aus dem eine Weisheit jenseits ihrer achtzehn Jahre sprach. Gillian sah auf ihre Hände, die an dem dünnen Stoff ihres Rockes nestelten. »Ich nehme an, eine Liebesheirat steht nicht zur Debatte – niemand heiratet mehr aus Liebe.«
»Nur Romantiker und Frauen niederen Ranges«, stimmte Charlotte zu.
Gillian ließ den zerknüllten Stoff los und strich ihn mit der flachen Hand glatt. Als sie den Blick ihrer Cousine im Spiegel auffing, lächelte sie. »Als ob es von Belang wäre – wir reden dummes Zeug, liebste Charlotte. Der Earl hat fettere Tauben zu rupfen als mich.«
Charlotte zupfte ein letztes Mal an ihrem Kleid und drehte sich um.
»Wir werden ja sehen, was morgen passiert. Besucht er dich ein weiteres Mal, wissen wir, dass es ihm ernst ist. Mama würde ihm nicht gestatten, sich die Zeit mit dir zu vertreiben, wären seine Absichten unehrenhaft. Gütiger Himmel, das war schon der zweite Gong. Papa wird furchtbar wütend, wenn wegen uns das Dinner später beginnt!«
Die beiden Frauen eilten den Flur entlang.
»Was wirst du morgen anziehen?«, fragte Charlotte, als sie auf dem Treppenabsatz stehenblieb und sich vor dem Spiegel drehte.
»Was spielt das für eine Rolle?«
Charlotte brummte ärgerlich und begab sich die Treppe hinab. »Was du trägst, spielt sogar eine große Rolle! Du willst doch nicht noch einmal in einem deiner Arbeitskleider vor dem Earl erscheinen«, warf sie ihr über die Schulter zu. »Du solltest dich um ein mondänes und elegantes Aussehen bemühen, so wie ich.«
»Ein Kleid macht mich weder mondän noch elegant«, lachte Gillian. Sie betrachtete kurz ihr Spiegelbild und schnitt eine Grimasse, ehe sie sich umdrehte und die Treppe hinunterlief. »Ich habe rote Haare, grüne Augen und Sommersprossen, Charlotte, und ich bin nicht im Geringsten mondän oder elegant. Du kannst mir wirklich glauben, wenn ich dir versichere, dass mir der Earl – auch wenn du meinst, wir würden gut zusammenpassen – nicht seine Aufwartung machen wird.«
Charlotte warf ihrer Cousine ein geheimnisvolles Lächeln zu, als sie ins Esszimmer schlüpfte.
Ohne zu ahnen, dass er Gegenstand einer Unterhaltung war, saß Noble Britton im verqualmten Kartenspielzimmer von
White’s
und gewann den größten Teil des Familienvermögens von Manfred, Lord Briceland. Obwohl er im Ruf stand, beim Kartenspiel ein gnadenloser, eiskalter Gegner zu sein, hatte Noble keine Freude daran, jemanden zu ruinieren, schon gar nicht einen so grünen Jungen wie Lord Briceland.
»Mein Schuldschein, Lord Weston.« Die Hand des jungen Mannes zitterte, als er seine Unterschrift kritzelte.
»Und Sie werden morgen früh zu mir kommen, um ihn einzulösen?«, fragte Weston gedehnt, wobei er mit der Hand über die Stoffbespannung des Tisches strich. Er hatte nicht die Absicht, das Geld des Viscounts anzunehmen, aber er wollte, dass der junge Mann eine schlaflose Nacht verbrachte und über die Folgen seines Leichtsinns nachdachte.
Lord Briceland wirkte blass und ausgesprochen angeschlagen, als er nickte und aus dem Zimmer wankte, wobei er heiser nach einem Whiskey verlangte.
»Respekt, Noble; du hast dein Mitgefühl nicht verloren. Ich hoffe, Briceland wird es gebührend zu schätzen wissen, dass du sein Vermögen vor Kerlen wie Mansfield und den anderen Aasgeiern, die schon den ganzen Abend um ihn gekreist sind, in Sicherheit gebracht hast.«
»Danke, Harry«, nahm Weston das Kompliment seines Freundes an und winkte ihm und Sir Hugh, ihm zu einer der Sitzgruppen zu folgen und dort Platz zu nehmen. »Brandy, meine Herren? Dingle! Drei Brandy.«
Marquis Rosse rückte seine Brille zurecht und nahm das ihm dargebotene
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