Ein Lord mit besten Absichten
hält, und von hoher Geburt – und ausgerechnet der verliebt sich wahnsinnig in eine namenlose, arme, sommersprossige, eigenwillige,
tollpatschige
Frau. Mich. Wie konnte ich nur so blind sein?«
»Sei nicht so sarkastisch, Cousinchen, sonst bekommst du Flecken. Du hast viele reizende Eigenschaften, auch wenn du weder Mitgift noch Titel besitzt. Vielleicht hat sich Lord Weston ja tatsächlich in dich verliebt. Nach dem, was du mir über eure Ausfahrt heute Nachmittag erzählt hast, würde so eine romantische Geste durchaus zu seinem heutigen Verhalten passen.«
Gillian biss sich auf die Unterlippe und dachte über Charlottes Worte nach. Sie kannte sich gut genug, um zu merken, dass sie sich stärker zu dem Schwarzen Earl hingezogen fühlte, als es sich für eine flüchtige Bekanntschaft schickte, und wenn sie ehrlich war, hatte sie auch schon einen Namen für dieses Gefühl. Dieselbe Ehrlichkeit zwang sie zuzugeben, dass sich dieses schnell aufflammende Gefühl der Zuneigung nur selten bei ihr einstellte und dass es vonseiten des Gentlemans in der Regel nicht in gleichem Maße erwidert wurde. Es war Stolz, der sich hinter Gillians Wunsch verbarg, der Earl würde mehr Zeit in ihrer Gesellschaft verbringen, und das nicht, weil er Langeweile hatte und nichts Besseres zu tun wusste, sondern weil er sie witzig, amüsant und absolut bezaubernd fand.
Gillian sah ihre Cousine an. »Welche Eigenschaften?«
»Wie bitte?«
»Du sagtest, ich hätte viele reizende Eigenschaften. Was zählst du zu meinen vielen reizenden Eigenschaften?«
Charlotte entließ ihre Zofe, drehte sich um und blickte zu ihrer Cousine, die es sich auf ihrem Bett bequem gemacht hatte.
»Steh mal auf.«
Gillian erhob sich mit einem Seufzen und versuchte erfolglos, die Falten aus ihrem neuen goldenen Abendkleid zu streichen.
»Du bist groß«, verkündete Charlotte, während sie ihre Cousine umkreiste und von Kopf bis Fuß musterte.
»Das weiß ich«, erwiderte Gillian scharf. »Ich bin größer als die meisten Männer.«
»Aber nicht größer als der Earl. Du gehst ihm sogar nur bis zur Nase. Das ist gut.«
Gillian verdrehte wieder die Augen, verkniff sich jedoch jeglichen Kommentar.
»Du weißt dich zu benehmen.«
»Ach, komm, Cousine! Ich falle doch über meine eigenen nicht gerade kleinen Füße!«
»Nur wenn du nicht aufpasst, wo du hintrittst. Daher wirst du – und das gilt ganz besonders, wenn du in Gesellschaft Seiner Lordschaft bist – aufpassen, wo du hintrittst.«
»Das ist ja lächerlich.« Gillian hob kapitulierend eine Hand. »Er hat doch gar kein echtes Interesse an mir; er vertreibt sich doch nur die Zeit, bis er eine passende Heiratskandidatin gefunden hat.«
»Warum sollte er Zeit mit dir verbringen, wenn es schon jetzt geeignete Frauen gibt, die sich ihm auch noch zu Füßen werfen?«
Darüber dachte Gillian einen Augenblick lang nach. Ihre Hoffnungen und die Wirklichkeit klafften gewaltig auseinander. »Ich glaube, er findet mich amüsant. Sein Mund zuckt immer, als wolle er lächeln, doch er verkneift es sich.«
»Aha! Eine Gemeinsamkeit! So etwas ist sehr wichtig für eine glückliche Ehe. Ich sähe es nämlich nicht gerne, wenn du deinen Gemahl scheußlich fändest. Also, sehen wir weiter …« Charlotte setzte ihre Runde um Gillian fort. »Du bist intelligent. Du sprichst drei Sprachen und bist sehr belesen.«
»Nur in klassischer Literatur, obwohl mir die Romane, die du mir geliehen hast, sehr gefallen haben. Onkel Jonas hatte mir nicht erlaubt, sie zu lesen; er sagte, sie wären durch und durch verdorben und führten letztlich zum Untergang der Gesellschaft, so wie wir sie kennen.«
Nun pruste Charlotte los. »Weston ist gewiss ein Mann, der eine kluge Frau zu schätzen weiß, ganz gleich, was sie liest. Mit einer albernen Pute wie Diana Templeton kann ich ihn mir jedenfalls nicht vorstellen, du etwa?«
»Sie besitzt eine große Mitgift. Und einen großen … äh … Busen. Das kommt bei Männern gut an.«
»Obendrein ist sie die Tochter eines Marquis, jedoch ausgestattet mit der Intelligenz einer gewöhnlichen Kröte. Nein, deinen scharfen Verstand weiß Lord Weston sicherlich zu schätzen, und dein Busen ist genauso groß wie ihrer, womit du beiden Anforderungen gerecht wirst.« Charlotte begutachtete ihre Cousine mit schräg gelegtem Kopf. »Ich hoffe, du hast keine Hemmungen, ihm gegenüber deine Gedanken offen auszusprechen.«
Gillian lächelte. »Hast du je erlebt, dass ich meinen Mund halten
Weitere Kostenlose Bücher