Ein Lord mit besten Absichten
Gillian nickte und langte nach seinen Füßen, doch anstatt sie von den Fesseln zu befreien, fing sie an, sie zu streicheln.
»Es geht um deine Vorstellung von Ordnung.« Ihre Stirn legte sich in Falten, als sie über seine Ausführungen nachdachte. »Ich glaube, so ganz verstehe ich das noch nicht. Wenn du von Chaos sprichst, meinst du dann diese kleinen Überraschungen, die mein Leben so überaus interessant machen?«
Ihre Finger fuhren über den Spann bis zu seinen Zehen. Er bezweifelte, dass sie überhaupt merkte, was sie tat. Dass der Fuß eines Menschen mehr als nur ein überaus praktischer Teil des Körpers war, wurde Noble schlagartig bewusst, als Tausende von Nerven, deren Existenz ihm bislang völlig entgangen war, unter Gillians magischen Fingern zum Leben erwachten und Alarm schlugen. Mit einem Stöhnen legte er den Kopf aufs Kissen zurück. Er hörte, wie seine Frau plötzlich nach Luft schnappte, während sie seinen Fuß umklammerte.
»Noble – dieser Körperteil. Der kaputt ist. Er bewegt sich!« Er musste sich arg zusammenreißen, um nicht hinzusehen. Den Blick seines Sohnes mied er ebenfalls. Stattdessen versuchte er, seiner Stimme Gelassenheit zu verleihen und sich die Symptome der Beulenpest beim Menschen vorzustellen.
»Gillian, schließ die verfluchten Handschellen auf.« Seine Stimme klang leicht gepresst.
»Aber – bist du sicher, dass alles in Ordnung ist? Ich glaube, dein … Ding … reagiert verspätet auf die Verletzung. Im einen Moment schwillt es an, um im nächsten zu erschlaffen. Du willst mir doch nicht sagen, dass das normal ist.«
Er hielt die Augen geschlossen. Im Moment brachte er nicht die nötige Kraft auf, um ihr die Vorgänge im Körper eines Mannes zu erklären. Nicht jetzt, wo sein Schädel hämmerte, seine Arme schmerzten und sein Fuß in Flammen stand.
»Was ist jetzt mit dem Schlüssel, Gillian?«
Sie warf einen letzten argwöhnischen Blick zwischen seine Beine und sah aus, als wäre sie keinesfalls überrascht, würde dieses Ding sich plötzlich erheben und tanzen. »Ich gebe mir ja alle Mühe, dich zu verstehen, Noble. Wirklich. Wenn du mir wenigstens verrätst, was du mit Chaos meinst …«
Sein Kopf schoss hoch, und er blickte sie durchdringend an. »Und dann lässt du mich frei?«
Sie sah ihn mit großen, unschuldigen Augen an. »Aber natürlich, Liebster.«
»Dann, meine Liebe, lautet die Antwort Ja; ich meine genau diese
kleinen Überraschungen
, wie du sie so unzutreffend bezeichnest, die dein Leben überaus hektisch und chaotisch machen. Keiner anderen Dame aus meinem Bekanntenkreis käme es in den Sinn, aus einem fahrenden Phaeton zu springen, um eine kleine schmutzige Straßendiebin zu trösten.«
»Aber …«
»Ich kenne auch niemanden, der an einem Ball teilgenommen und dabei ein Haus in Brand gesteckt hat.«
»Das war nichts weiter als ein Unfall …«
»Du hast meine Pferde erschreckt und dadurch meinen Pagen verletzt.«
»Eines von ihnen hat gelahmt! Ich habe nur versucht, dir zu zeigen, dass das Pferd einen Stein im Huf haben muss.«
Noble brummte ungläubig. »Und was war am Tag unserer Verlobung?«
Gillian zog einen Schmollmund. »Auch das war nur ein Unfall.«
»Du wolltest mich küssen. Hättest du Ruhe und Beherrschung walten lassen und mir deinen Wunsch auf diskrete Weise zu verstehen gegeben, wäre ich ihm liebend gerne nachgekommen. Dein Problem, liebe Gillian, ist, dass du nicht nachdenkst, sondern immer gleich handelst, sobald dir ein Gedanke in den Kopf schießt.«
»Noble.«
»Wenn du endlich lernen würdest, ruhig und überlegt zu agieren, würdest du reich belohnt werden: mit Ordnung und Gelassenheit.«
»Noble …«
»Du bist noch jung, trotz deines Alters; darum will ich dir dein voreiliges Wesen und die leichtsinnige Art, wie du dich ins Leben stürzt, gar nicht vorhalten. Du weißt es eben noch nicht besser, woran deine Erziehung schuld sein dürfte. Es wird mir ein Vergnügen sein, dir die Freuden eines wohlgeordneten und kontrollierten Lebens nahezubringen.«
»Noble!«
»Was denn?« Es ärgerte ihn, dass sie ihn unterbrach. War es denn so schwer zu verstehen, dass er ihr gerade half, halbwegs Ordnung in ihr Leben zu bringen?
»Ich bin es nicht, die nackt und mit einem kaputten, na ja, … Teil ans Bett meiner Mätresse gefesselt ist.«
»Er ist nicht kaputt!«, brüllte er sie mit finsterer Miene an, worauf sie höchst ungläubig und ungeniert auf den fraglichen Körperteil starrte. Noble spürte
Weitere Kostenlose Bücher