Ein Lord mit besten Absichten
die Hitze ihres Blickes so intensiv, als würde sie ihn anfassen.
»Da, siehst du, jetzt schwillt er wieder an. Ich werde mal sehen, wo ich kaltes Wasser finde. Was du jetzt brauchst, ist ein kühlender Umschlag.« Sie war schon auf dem Weg zur Tür, als sein wütender Aufschrei sie zu ihm zurückkehren ließ. Während sie die Handschellen aufschloss, versuchte er, ihr klarzumachen, dass keines seiner Körperteile beschädigt war, und versprach ihr, mit einem Seitenblick zu seinem Sohn, das Ganze zu einem geeigneteren Zeitpunkt zu erklären.
Fünf Minuten später rieb Noble sich die tauben Handgelenke, während Gillian und Nick den großen Schrank öffneten, um nach Kleidern zu suchen. Er war leer, ebenso wie die Schubladen der Spiegelkommode.
Zehn Minuten später stapfte Noble nackt und mit einem Kerzenleuchter in der Hand den langen, dunklen Flur auf und ab und stieß wahllos Befehle und Flüche aus, während Gillian und Nick in den anderen Zimmern nach etwas zum Anziehen suchten.
Fünfzehn Minuten später erlebte der noch immer wartende Kutscher die Überraschung seines Lebens, als ein vor Wut kochender, in ein Bettlaken gehüllter Mann aus dem Haus trat, dem eine Frau in Männerkleidung und ein junger Bursche folgten, der so aussah, als könnte er sich das Lachen kaum noch verkneifen.
»Sie! Fahren Sie uns nach Hause! Sofort!«, befahl der ins Betttuch gehüllte Mann in einem Tonfall, der nicht den geringsten Widerspruch zuließ. Der Kutscher dachte zwar kurz daran, dem Mann seine Bewunderung über die hübsche Schleife, mit der das Tuch auf der Schulter zusammengebunden war, auszusprechen, aber ein einziger durchdringender Blick aus dessen grauen Augen genügte, um diesen Gedanken sofort zu verwerfen. Dem lächerlichen Aufzug des Gentlemans zum Trotz ließen sein verkniffener Mund und das Muskelspiel auf dem unverhüllten Teil seiner breiten Brust erkennen, dass er eher nicht in der Stimmung für ein paar Späße war.
»Komische Käuze, diese feinen Pinkel«, schnaubte der Kutscher vor sich hin und gab seinem Pferd leicht die Peitsche, damit es sich in Bewgung setzte.
Während der ganzen Fahrt durch die warme Nacht schimpfte Noble vor sich hin. Jede Erschütterung des schlecht gefederten Gefährts führte dazu, dass sich das Hämmern in seinem Schädel verstärkte. Er hatte das Gefühl, als hockte ein Giftzwerg auf seinen Schultern und benutzte seinen Kopf als Amboss. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als seinen Kopf in Gillians Schoß zu betten und sich durch die Liebkosungen ihrer zarten, kühlen Finger von den Kopfschmerzen befreien zu lassen. Wie hatte es nur dazu kommen können?, fragte er sich, während er seine Frau aus zusammengekniffenen Augen beobachtete. Dass er die Berührung einer Frau wollte – nein,
brauchte
. Auch wenn er noch nicht ganz wahrhaben wollte, was da vermutlich in ihm aufkeimte, musste er dieses beengende Gefühl in der Brust doch ehrlicherweise als das anerkennen, was es war.
Die Sehnsucht nach seiner Frau ging weit über ein rein körperliches Verlangen hinaus.
Noble war von sich selbst angewidert. Er hatte von Frauen nie etwas anderes gewollt, als dass sie seine körperlichen Bedürfnisse befriedigten. Hatte Elizabeth ihn nicht gelehrt, dass alles, was darüber hinausging, mit einem tiefen, unerträglichen Schmerz endete? Gott allein wusste, dass die Erfahrungen mit ihr ausreichten, um einen Mann einen weiten Bogen um Frauen machen zu lassen. Man durfte ihnen einfach nicht trauen, egal, wie sittsam und zurückhaltend oder wie unschuldig, naiv und ungefährlich sie wirkten, wenn sie in der Kleidung eines Dieners steckten. Nein, auch wenn er vielleicht so schwach war, sich insgeheim mehr zu wünschen, als er sollte, so würde er keinesfalls zulassen, dass diese Schwäche sein Leben diktierte. Ein wohlgeordnetes und strukturiertes Leben gab Halt. Schon vor Jahren hatte er gelernt, Gefühle und Wünsche im Keim zu ersticken – den Wunsch nach Beistand und Unterstützung, das Gefühl der Sehnsucht nach der Anerkennung und Liebe eines anderen Menschen. Nein, er würde nicht zulassen, dass diese unliebsamen Gefühle zu neuem Leben erwachten, ganz gleich, wie sehr seine Frau ihn in Versuchung führen mochte.
»Hast du Kopfschmerzen, Noble?«
Einen Augenblick lang schienen ihre sanften Worte in der Nachtluft zu schweben, ehe sie schmolzen und Noble in ihren warmen Glanz hüllten. Seine Lippen bewegten sich, doch er schaffte es nicht, ein Nein über die Lippen zu
Weitere Kostenlose Bücher