Ein Lord mit besten Absichten
bringen.
Gillian rutschte von ihrem Sitz zu ihm herüber und zog ihn vorsichtig an ihre zierliche Frauenschulter. Noble erwog, sie zurückzuweisen. Er wusste, dass es eine Riesendummheit wäre, mehr von einer Frau entgegenzunehmen, als sie ihm körperlich zu bieten hatte, doch ihre Berührung war so zärtlich wie ihre Worte. Sie zog ihn mit ihrer kleinen Hand an sich, bis er wie ein Betrunkener quer auf dem Sitz lag, den Kopf an ihren Busen gebettet. Großer Gott, wie sie duftete, selbst in den Kleidern seines Hausknechts.
Gillian murmelte liebevolle Worte, während sie ihm sanft über das Haar strich. Es war seltsam, doch ihre Berührung schien das Pochen in seinen Schläfen zu mildern. Noble wusste, dass er seiner Frau jetzt eigentlich einen Vortrag über die Gefahren Londons bei Nacht halten sollte. Dass er ihr verbieten müsste, das Haus je wieder ohne die Begleitung mehrerer Lakaien zu verlassen. Dass er sie fragen sollte, wie sie nur auf die Idee kommen konnte, ihm in die Stadt zu folgen, hatte er sie doch ganz bewusst auf Nethercote zurückgelassen. All dies hätte er in diesem Moment tun sollen, aber zum ersten Mal, seitdem er von Elizabeth auf so brutale Weise verraten worden war, sagte er der Stimme der Rechtschaffenheit in ihm, sie solle den Mund halten.
Gillian merkte, wann Noble den Kampf gegen seinen inneren Dämon aufgab. Sein Kopf lag zwar schwer an ihrer Brust, doch sie genoss diese Schwere, genoss seine Nähe und sein Vertrauen. Sie strich sanft über das dunkle Haar ihres Mannes und war wie verzaubert, dass so ein Mann – so ein despotischer, übermächtiger,
großer
Mann – Haar besaß, das ihr wie Seide durch die Finger floss. Wie feinste tiefdunkelbraune Seide, in die sich hier und da Lichter aus einem helleren Braun und Silber woben. Noble seufzte behaglich, als sie die Konturen seiner Augenbraue nachzeichnete und die Fingerspitzen über seine Wange gleiten ließ. Seine Bartstoppeln fühlten sich rau an und riefen ein unbeschreiblich angenehmes Gefühl auf ihrer Haut hervor, das ihre Finger in Brand zu stecken schien. Gillian strich die Kerbe in seinem Kinn entlang, was ihr nach wie vor ein Prickeln verursachte, und folgte der Linie seines Kiefers bis zu der empfindlichen Stelle hinter seinem Ohr. Die Mondsicheln seiner schwarzen Wimpern – bestimmt gab es ein Gesetz, das einem Mann verbot, so herrlich lange und dichte Wimpern zu besitzen – flatterten kurz, kamen aber wieder auf der gebräunten Haut seiner Wangen zum Liegen. Ihre Finger folgten dem Pfad seines Wangenknochens bis hin zu seiner Schläfe, an der sie eine Schwellung ertastete. Gillian atmete erleichtert auf, als sie den Bereich um die Verletzung vorsichtig berührte und sich herausstellte, dass es nichts Ernstes war.
Gillian nutzte die unerwartete, stillschweigende Einwilligung des Lords von Glückseligkeit aus und erforschte ausgiebig das Gesicht ihres Mannes. Als die Kutsche über ein Schlagloch hüpfte, blickte sie hoch und sah, dass ihr Stiefsohn sie mit leuchtenden Augen beobachtete.
Was hatte Nick beim Anblick seines hilflosen Vaters, dessen Verwundbarkeit – und anderer Blößen – wohl gedacht? Für einen Jungen, der seinen Vater anbetete, musste es ein Schock gewesen sein. Doch der Junge zeigte weder Emotionen noch benahm er sich auffallend, indem er versuchte, die Aufmerksamkeit mit allen Mitteln auf sich zu ziehen, so wie Gillians Brüder es immer getan hatten. Er saß einfach nur schweigend da und beobachtete sie mit ausdrucksloser Miene. Unerwartet befiel Gillian ein Frösteln des Bedauerns für ihre beiden Männer. Für Noble, der mit aller Macht versuchte, sein Bedürfnis nach Zuneigung zu leugnen, und für seinen Sohn, der denselben Weg in Richtung Selbstbeherrschung und Selbstverleugnung eingeschlagen hatte. Wenn sie jetzt nicht einschritt und diesen unhaltbaren Zustand beendete, wäre es zu spät, und sie hätte beide verloren. Gillians Finger schlossen sich um eine Handvoll von Nobles Haar. Sie hatte nicht die Absicht, es so weit kommen zu lassen.
Ein leises Schnarchen ließ sie hinunter auf das Gesicht ihres Mannes schauen, das gelöst und entspannt wirkte. Überrascht fühlte sie ein unerklärliches Brennen hinter ihren Augen; Noble wirkte so jung und sorglos, als er in ihren Armen schlief. Dieser Anblick weckte in ihr das starke Gefühl des Besitzens. Er gehört mir, dachte sie.
Mir
, und ich lasse nicht zu, dass man ihm noch einmal wehtut – keinem der beiden, korrigierte sie sich, als sie in
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