Ein Lord zu Tulivar (German Edition)
Sorge. Ich setzte mich zu ihm ans Wachfeuer. »Sprich, dann leg dich hin«, sagte ich nur.
Estibar nickte. »Holden ist noch da draußen und bleibt den Söldnern auf den Fersen. Jedenfalls hatte Gerik recht. Es sind genau 107 Soldaten unter der Führung eines Hauptmannes, den ich nicht kenne. Ein oder zwei Gesichter kamen mir vage bekannt vor, aber niemand, der sich mir aus der Erinnerung aufgedrängt hat. Dabei ist ein Adliger, der offenbar die Kasse verwaltet und die Gesamtführung hat.«
»Ausrüstung?«
»Haben alle ordentliche Rüstungen und volle Waffenausstattung. 95 Fußsoldaten, der Rest zu Pferde. Haben ganz sicher auch Späher in unsere Richtung geschickt. Dazu kommen noch vier Karren und etwa zehn Packpferde, mit Proviant, Zelten und wenn mich nicht alles täuscht, einer Dicken Marie.«
Ich stieß den Atem pfeifend aus. Eine Dicke Marie war ein in drei Teile zerlegter Rammbock, eine Konstruktion, die sich während der Feldzüge der Vergangenheit vor allerlei Toren und Portalen bewährt hatte. Mit der richtigen Deckung war der Rammbock gut geeignet, um zum Beispiel unterverteidigte Türme aufzubrechen und zu stürmen. Wir hatten den Tag über das Tor unserer Befestigung verstärkt so gut es ging, aber es stand zu befürchten, dass wir einer Dicken Marie nicht ewig standhalten würden. Meine Entschlossenheit, die Belagerung auszuhalten, schwand angesichts dieser Nachrichten ein wenig. »Marschgeschwindigkeit?«
»Sie lassen sich Zeit, schlafen viel, essen gut. Es scheint, als wolle man die Männer bei Laune halten. Sie wurden in Floßheim nur übergesetzt, dann hat man das Dorf sofort verlassen.«
»Probleme?«
Estibar schüttelte den Kopf. »Die Bürger Floßheims haben sich in den Häusern verrammelt. War wahrscheinlich nicht die übelste Idee. Sie wurden völlig unbehelligt gelassen.«
»Wann sind unsere Besucher da?«
»Wenn sie so weitermarschieren, dann übermorgen Abend. Falls sie einen Gewaltmarsch einlegen, dann morgen Abend, dann werden sie aber sicher nicht mehr angreifen.«
»Sie lassen sich Zeit, um uns die Möglichkeit zu geben, zu kneifen«, murmelte ich halb zu mir selbst. »Es geht ihnen primär gar nicht um den Kampf, wenngleich sie ihn nicht scheuen werden.«
»Das sehe ich ähnlich. Und sie schüchtern damit die Bevölkerung ein. Damit sie uns nicht hilft.«
»Was sie sowieso nicht tun wird«, meinte ich. »Sonst noch etwas?«
Estibar zögerte. »Es ist nur ein Eindruck, Hauptmann …«
»Raus damit!« Ich hatte über die Jahre gelernt, seinen Eindrücken zu vertrauen. Estibar war ein ausgezeichneter Kundschafter.
»Ich habe eine Weile beobachtet, wie die Söldner miteinander redeten. Ich kam ziemlich nah ran, denn die haben sich keine besondere Mühe mit den Wachen gegeben. Mir kam es so vor, als seien eine gute Anzahl der Männer aus Tulivar. Als ob man bewusst Leute mit Ortskenntnissen rekrutiert hätte.«
»Das passt«, meinte ich. »Wenn die Söldner einem neuen Baron als Truppe dienen sollen, dann … ah …«
Ich unterbrach mich selbst. Mein Blick irrte ein wenig ins Unbestimmte. Estibar sah mich etwas verwirrt an. Glücklicherweise schien er meine plötzliche Abwesenheit nicht als Affront zu werten, dann aber musste doch seine Neugierde die Oberhand gewonnen haben, denn er riss mich mit einem deutlich vernehmbaren »Was ist?« aus meiner unerwarteten Kontemplation.
Ich schloss die Augen. »Estibar, leg dich hin. Ich habe noch etwas zu erledigen.«
Der Mann sah mich immer noch fragend an, doch dann zuckte er mit den Schultern und befolgte er meinen Befehl.
Ich erhob mich, schaute auf den Horizont, an dem sich ein erster Streifen der Morgendämmerung abzeichnete.
Ich hatte da eine Idee.
12 Die Schlacht um Tulivar
Meine Gegner hielten nichts von Eilmärschen, was mir nur recht war. Während meine eigenen Männer weiter fieberhaft an der Ausstattung des Turmes arbeiteten – wir hatten sogar einen großen Kochkessel sowie alle Zutaten für einige heiße Ladungen flüssigen Pechs zusammenbekommen, was auch einer mit Schilden geschützten Rammbockmannschaft arge Unbill bereiten konnte –, hatte ich mich in Richtung Tulivar abgesetzt und viele Gespräche geführt. Diese hingen nicht nur mit der anstehenden Auseinandersetzung zusammen, sondern auch und vor allem mit der Tatsache, dass die Flüchtlinge aus Felsdom gut einen Tag nach den Söldnern eintreffen würden. Ich tat viel, um alles für ihre Ankunft vorzubereiten. Leer stehende Gehöfte
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