Ein Lord zu Tulivar (German Edition)
hatten.
»Baron!«, sagte er mit brüchiger Stimme, der man anhörte, dass sie nicht oft benutzt wurde. Er kannte mich und meinen Titel, also nahm er seine Umwelt offensichtlich weit genug wahr. Ich beschloss, den penetranten Gestank zu ignorieren. Es hatte lange Phasen während der vergangenen Jahre gegeben, in denen ich nicht viel besser gerochen hatte.
»Sergeant!«, sprach ich ihn mit jenem Titel an, den er doch so lange nicht mehr trug, bei dem er aber allgemein bekannt war und gegen dessen Gebrauch er offenbar nichts einzuwenden hatte.
»Ich werde kämpfen, Baron!«
Ich blickte den verwahrlosten Mann einen Moment an. Da waren weder in Stimme noch Haltung Spuren des Wahnsinns, die wir alle immer wieder bei ihm vermutet hatten. Soweit dieser Mann noch klar sein konnte, in diesem Augenblick war er es. Er meinte es ernst.
»Ich danke für das Angebot, Sergeant. Aber Sie sind schon lange nicht mehr im aktiven Dienst. Ich will von Ihnen nichts verlangen.«
»Ich biete mich an. Ihr verlangt nichts. Ich kann den Speer führen wie jeder Eurer Männer, habe gute Augen und kenne den Turm. Gebt mir den Befehl, und ich werde ihn verteidigen wie jeder Eurer Krieger. Ich bin kein Sergeant mehr, nur ein einfacher Soldat, aber ich werde kämpfen.«
Ich unterdrückte die spontane Antwort, die mir auf den Lippen lag. Da war dieser seltsame Stolz in seinen Worten gewesen, als ob er in sich etwas bewahrt hatte über all die Jahre, das sein Selbstbewusstsein ausmachte. Wenn ich ihm dies jetzt nahm, so wurde mir schlagartig klar, blieb ihm in der Tat nichts anderes mehr als der Schweinestall.
Ich drehte mich betont langsam zu Selur um. »Dieser Mann erhält den üblichen Sold eines Provinzsoldaten, Selur. Er bekommt eine frische Uniform aus unseren Beständen und einen Speer. Einen Helm.«
Ich sah den Sergeanten wieder an. »Sie werden sich waschen und kleiden, wenn Sie in meinen Diensten kämpfen wollen.«
Er zögerte keinen Moment, stand plötzlich aufrecht, die Arme an den Körper angelegt, wie auf dem Exerzierplatz. »Ich gehorche, Baron.«
»Selur ist mein Sergeant. Seine Befehle werden befolgt.«
»Ich gehorche.«
Er sah Selur aus den Augenwinkeln an, maß die affektierte, schlanke, fast schwächlich wirkende Gestalt mit einem kurzen Blick. Nichts deutete an, als würde er es nicht ernst meinen.
Selur legte dem neuen Rekruten eine Hand auf die Schulter. Es war ein bemerkenswerter Kontrast, die personifizierte Verwahrlosung auf der einen Seite, der parfümierte und immer peinlichst auf seine äußere Erscheinung achtende Selur auf der anderen. Aus irgendeinem Grunde passte dieser Kontrast zusammen, und ich hatte die plötzliche Ahnung, dass der Sergeant sein Versprechen wahr machen würde. Er hatte sich seinen Speer verdient.
Selur und sein Schützling wandten sich ab, marschierten schnurstracks auf das Badehaus zu, das meine Männer unweit des Turms errichtet hatten. Es bestand aus nicht mehr als einem Holzverschlag mit zwei großen, hölzernen Badewannen darin, die sie in der Stadt erworben hatten. In einem großen, alten Kochkessel über einer Feuerstelle wurde Wasser erhitzt, das wiederum aus dem Brunnen des Gehöftes stammte.
Ich sah, dass Frederick und zwei seiner Töchter der Unterhaltung aus der Entfernung gefolgt waren. Als sich der Sergeant in Richtung Badehaus zu bewegen begann, gestikulierte der Kastellan und die beiden Mädchen eilten zum Brunnen, um frisches Wasser zu schöpfen. Es war offensichtlich, dass alle hier den Entschluss des Sergeanten, zumindest kurzzeitig wieder auf Sauberkeit zu achten, so gut wie möglich unterstützen wollten.
Ich sah der Gruppe nach und konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen.
Der Rest des Tages und die frühen Nachtstunden verbrachten wir mit weiteren Vorbereitungen. Wir legten uns dann zur Ruhe, wenngleich ich doppelte Wachen sowie weitere, vorgeschobene Späher einteilte. Ich schlief schnell ein.
Die Aussicht auf einen Kampf führte schon lange nicht mehr zur Aufregung, es war zu einer Art Routine geworden. Die Tatsache, dass mich die Aussicht auf Blut und Tod nicht mehr sonderlich beunruhigte, sagte mehr über mich aus als über die tatsächliche Bedrohung. Ich war mir nicht ganz sicher, ob es etwas Gutes oder etwas Bedenkliches war.
Es war noch dunkel, als mich jemand weckte. Es war der Wachhabende. Die zuerst ausgesandten Späher waren zurückgekehrt, zumindest einer von ihnen. Es war Estibar. Er sah müde aus, und in seinem Blick stand professionelle
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