Ein Lord zu Tulivar (German Edition)
Ich kannte diesen Blick. Trotz seines Widerstandes hatte sich die Idee in seinem Kopf eingepflanzt und begann, Wurzeln zu schlagen. Er konnte das Uhrwerk seiner Überlegungen nicht mehr aufhalten, als er halb unbewusst begann, einen Plan zu entwickeln. Als er weitersprach, schaute er nach wie vor etwas unglücklich drein, als wisse er, dass er dabei war, sein eigenes Grab zu schaufeln.
»Auf dem Land läuft es so«, erklärte er. »Wenn du den Dorfschulzen loswerden willst, musst du böse Gerüchte über ihn in Umlauf bringen. Noch besser: böse Gerüchte, die einen wahren Kern haben. Und dazu benötigst du die Hilfe der stärksten Meinungsmacht auf dem Dorf, derer du habhaft werden kannst.«
Ich sah ihn an und verstand, wovon er sprach.
»Die Großmütter«, sagten wir beide.
»Die alte Netty wird eine kennen, mit der wir reden können«, fiel mir ein.
»Du hast ja einen guten Draht zu ihr«, meinte Woldan mit einem gehässigen Grinsen und blickte mich auffordernd an.
Ich verstand.
Wenn er schon leiden sollte, dann durfte ich nicht verschont bleiben.
Es war offenbar Zeit für einen Besuch in der Steingasse.
Als ich mich erhob, um diese Pflicht nicht unnötig aufzuschieben, hatte Woldan schon fast wieder gute Laune.
* * *
Das Haus der alten Netty war recht gemütlich. Es stand ganz am Ende der Gasse, direkt unter einem großen Eichenbaum, und erinnerte an ein Hexenhaus. Ein kleiner Garten, etwas verwildert, verstärkte diesen Eindruck. Als hätte mich die alte Dame erwartet, öffnete sich die verwitterte Eichentür, als ich von meinem Pferd stieg. Netty sah genauso aus, wie ich sie das letzte Mal gesehen hatte, vor den Toren von Tulivar, als sie dabei geholfen hatte, die Stadt, die ganze Baronie und nicht zuletzt meinen kostbaren Hintern zu retten.
Ich schuldete ihr Dank, und das schon länger. Ein weiterer Grund, warum ich den Besuch bei ihr nicht mehr hatte aufschieben können.
»Immer herein, mein Süßer!«, begrüßte sie mich kichernd. Ich wappnete mich und trat ein.
Das Innere des Hauses war sehr angenehm eingerichtet. Alles wirkte alt und etwas heruntergekommen, verströmte aber eine sehr heimelige Atmosphäre . Ich wurde zu einer Art Sessel geführt, der den Wohnraum dominierte.
»Da hat früher mein seliger Ewald gesessen«, erklärte Netty. »Er ist für meine besonderen Gäste.« Eine harmlose, ja rührende Äußerung, hätte die alte Frau das Wort »besonderen« nicht auf eine Art betont, die zartbesaiteten Gemütern die Schamesröte ins Gesicht treiben würde.
Ich setzte mich und wurde sogleich mit Tee und Keksen bewirtet. Von beidem nahm ich nur vorsichtig, kannte ich doch Nettys Vorliebe für diverse Rauschkräuter. Als ob es ihr Ansinnen war, unter Beweis zu stellen, dass sie Gedanken lesen konnte, setzte die Alte sich auf einen Schemel, zog eine unterarmlange Pfeife hervor und begann, diese hingebungsvoll mit etwas zu stopfen, wovon ich alleine von Amts wegen nichts wissen wollte.
»Netty, ich bin wegen zweier Dinge hier«, sagte ich dann ernsthaft. »Zum einen muss ich mich bei dir ausdrücklich bedanken. Du hast, als die Söldner vor uns standen, schnell und klug reagiert, und ohne dich hätte die Sache anders ausgehen können.«
»Ich weiß, Schatz. Ich bin nicht nur gut aussehend und eine Granate im Bett, ich bin auch wirklich clever. Mit mir hat jeder seinen Spaß!«, erwiderte sie mit meckerndem Gelächter, warf mir erneut eindeutige Blicke zu und entzündete die Pfeife, die sofort einen verdächtig süßlichen Geruch im Raum verströmte.
Ich nippte voller Misstrauen an meinem Tee.
»Aber ich danke dir, Baron. Die Idee war von dir, das wollen wir mal festhalten. Du bist nicht völlig verblödet.«
Ich beschloss, geschmeichelt dreinzublicken.
»Theobald ist nicht mein richtiger Neffe, weißt du? Er war ein Nachbarskind und ich habe oft auf ihn aufgepasst. Er ist ein ordentlicher Junge, glaub mir, Baron. Er wurde in den Dienst gepresst wie alle anderen. Er ist froh, dass er jetzt wieder daheim ist.«
»Was ist aus seiner richtigen Familie geworden?«
»Die meisten sind verstorben. Seine Mutter erst im letzten Jahr«, erwiderte Netty bekümmert. »Aber er hat hier eine verheiratete Schwester. Das alte Elternhaus stand zuletzt leer, Mott hat es ihm zugesprochen, nachdem ich dafür gebürgt hatte. Mein Wort hat noch ein wenig Gewicht.«
Ich widersprach nicht. So kauzig und manchmal völlig nervig diese Frau auch war, das Alter hatte eher zur Schärfung
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