Ein Lord zu Tulivar (German Edition)
Stadt und der Baron begann, in so etwas wie einem angemessenen Amtssitz zu residieren. Es entsprach dem zutiefst provinziellen Patriotismus, den ich irgendwie geweckt hatte. Als ich eines Tages zur Inspektion in die Stadt ritt, bemerkte ich, dass die verrottete Statue des ersten Imperators vom Marktplatz verschwunden war. Ich sagte nichts und wartete ab. Eine Woche später, zur Einweihungszeremonie des neuen Nordtors der Stadt, das einen wunderbaren Steinbogen erhalten hatte, der sich einst in ein Torhaus ausbauen ließ, stand sie wieder da: repariert, beide Arme intakt, gesäubert, farbig bemalt, wie es sich für eine anständige Statue gehörte, auf einem frisch gemeißelten Podest, das eine ordentliche Inschrift aufwies. Es war, als würde der Marktplatz in neuem Glanz erstrahlen. Auch der fahrende Händler aus Bell, der sein Versprechen gehalten hatte und nach Tulivar zurückgekehrt war, wirkte beeindruckt. Er stellte seinen Stand zum Markttag direkt unter den ausgebreiteten Armen des Imperators auf und schien mit dem Umsatz zufrieden zu sein.
Ich war ebenfalls zufrieden.
Es tat sich etwas in dieser Provinz, auch wenn ich de facto die Hälfte verloren hatte. Die ehemaligen Bewohner Felsdoms behielten ihren Groll weitgehend für sich. Sie lebten sich gut in Tulivar ein. Die Stadt belebte sich. Überall wurde gewerkelt und repariert. Aufbruch lag in der Luft, eine neue Zuversicht. Griesgrämige Gesichter wurden weicher und begannen zu lächeln.
Dazu trug sicher ebenso bei, dass die Ernte dieses Jahr sehr gut ausfiel. Niemand würde im Winter hungern müssen. Das war überhaupt das Wichtigste.
Je näher die kalte Jahreszeit kam, desto näher rückte auch der Zeitpunkt der Wahl des Dorfschulzen in Floßheim. Ich hatte Woldan wie versprochen ein Haus gekauft, genau in der Mitte des Dorfes, ein verfallenes Anwesen, das einem einst wohlhabenden Fischer gehört hatte und nach dessen Tod Besitz einer heillos zerstrittenen Erbengemeinschaft war. Ich hatte es günstig bekommen, denn es lag durchaus in meiner Autorität, ungenutztes Eigentum einfach einzuziehen, und die Erben waren froh, den Klotz vom Bein zu haben. Woldan war unter Flüchen nach Floßheim gezogen und hatte begonnen, versehen mit einem Reptilienfonds aus meinen schwindenden Beständen, das Gebäude wieder herzurichten. Es war ihm bereits zu dem Zeitpunkt eine gewisse Feindseligkeit entgegengeschlagen, denn auch mit klingender Münze war niemand dazu zu bewegen gewesen, auf der Baustelle zu arbeiten. Schließlich war Woldan zu Gerik gegangen und hatte zwei Arbeiter im Nachbardorf auf der anderen Seite des Flusses rekrutiert. Das war auch nicht gut angekommen. Egal, wie man es machte, es war falsch. Woldan jedoch wollte den Winter nicht in einer zugigen Baracke zubringen, also zeigte er irgendwann keine übertriebene Rücksicht mehr. Das war durchaus in meinem Sinne.
Offiziell war er dort als Leiter des militärischen Außenpostens. Ich hatte eine Wachstation an der Brücke eröffnet, ständig besetzt mit zwei Soldaten. Sie taten im Grunde nichts anderes, als Präsenz zu zeigen. Es war ein sterbenslangweiliger Job. Die Bewohner des anderen Flussufers zeigten sich im Regelfalle freundlicher und aufgeschlossener als meine eigenen Untertanen.
Interessanterweise hatte mein Dekret, das den Frauen das Wahlrecht beschert hatte, für relativ wenig Aufregung gesorgt. Der Männermangel, den der Krieg ausgelöst hatte, führte schon seit geraumer Zeit zur Stärkung der informellen Rolle der Frauen. Dass diese jetzt sozusagen ihre Bestätigung in Gesetzesform genossen hatte, mochte einige traditionell denkende Männer erzürnen, war aber letztlich nichts anderes als die Nachvollziehung einer allgemein feststehenden Tatsache. Auch in Floßheim war erst einmal niemand sonderlich erbost über diese Veränderung.
Die Einstellung änderte sich, als Woldan mit sanfter Unterstützung seines Oberherrn mit seinem Wahlkampf begann. Allein die öffentliche Bekanntmachung der Kandidatur sorgte bereits für erhebliche emotionale Wallungen. Aber das war erst der Anfang.
Der zentrale Aspekt war, dass Woldan die Männer völlig ignorierte.
Ich hatte mich mit Mott und seiner Schwester Netty mehrmals zusammengesetzt und die Geschichte Floßheims studiert. Die Unterstützer Lorns waren die kleine Clique von Fischern und Ackerbauern, die zur Oberschicht des Dorfes gezählt werden konnte. Es waren nicht viele, aber Floßheim hatte nach unserer Schätzung – und nach den vorsichtigen
Weitere Kostenlose Bücher