Ein Lord zu Tulivar (German Edition)
musst klare Verhältnisse schaffen.«
»Ich bin mir nicht so sicher …«
Netty stöhnte auf. »Männer! Und ihr sagt, wir Frauen würden alles so kompliziert machen. Ihr seid mindestens genauso schlimm.«
»Es ist nur …«
»Quatsch! Kümmere dich darum, Baron.«
Ich nickte zögerlich und wandte mich langsam ab.
»Wir sind ein ehrbares Völkchen, Baron. Hier gelten die alten Werte noch etwas!«, rief sie mir nach.
Dass diese Aussage im krassen Gegensatz zu allem stand, was sie mir gerade im Detail mitgeteilt hatte, schien sie nicht weiter zu bekümmern. Sie lachte zum Abschied und winkte.
Ich machte mich auf den Rückweg.
Aus irgendeinem Grunde merkte ich erst einige Minuten später, dass ich die ganze Zeit lächelte.
Es lag wahrscheinlich am Pfeifenrauch.
17 Die Wahl
Während sich Woldan mit dem Gedanken vertraut machte, im Auftrage seines Herren neue Wurzeln zu schlagen, musste ich mich um ein anderes Problem kümmern: die Grenze nach Norden. Mit dem Verlust Felsdoms war das Problem der Gebirgskrieger nicht gelöst, denn mutig geworden würden sie beginnen, weiter in Richtung Süden aufzubrechen. Sie ahnten sicher nicht zu Unrecht, dass es in der Stadt mehr zu holen gab, und meine militärischen Optionen hatten sich nicht grundlegend verbessert. Ich war jetzt natürlich theoretisch in der Lage, eine Truppe von gut 100 erfahrenen Kämpfern aufzustellen, wenn ich die zurückgekehrten Ex-Söldner rekrutierte. Als Baron durfte ich das nach Belieben tun, denn alle diese Männer hatten den Eid abgelegt, und den wurde man Zeit seines Lebens nicht mehr los. Aber ich ahnte, dass dies nur eine Aktion für den Notfall sein konnte. Zum einen hatte ich gar nicht genug Geld, um dauerhafte Soldzahlungen in diesem Umfang gewährleisten zu können, zum anderen würde ich damit einiges an Unwillen und Feindseligkeit hervorrufen. Diese Männer wollten jetzt in Ruhe gelassen werden, zuvorderst jene, die Familie hatten. Ich würde eine Menge Kredit verspielen, den ich mir gerade erst mühsam und mit viel Glück erarbeitet hatte.
Ich tat also einige andere Dinge. Als Erstes ließ ich an der nördlich gelegenen Wegkreuzung einen Aussichtsturm errichten. Dort stationierte ich ständig vier meiner Männer, die den Weg gen Norden im Blick hielten und Patrouillen ritten. Sollte sich aus dieser Richtung etwas tun, würde ich es schnell erfahren.
Dann begann ich mit einem sehr aufwendigen Projekt: der Wiederherstellung der alten Stadtmauer. Ich verfügte weder über das Gold noch über die Arbeitskräfte, um das in kurzer Zeit und im notwendigen Umfang bewerkstelligen zu können. Also tat ich, was mir möglich war: Es begann mit Frondiensten und dem Errichten einer Holzpalisade im Nordbereich der Stadt. Da ich nicht allzu viel von meinen Untertanen abverlangen wollte und es genug andere Baustellen gab, war der Fortschritt langsam. Am Tag wurden vielleicht zwei Meter Palisade errichtet, vier Meter hoch, mit einem inneren Rundgang. Es würde viele Wochen dauern, bis der Nordteil Tulivars so geschützt war, und dann fehlten immer noch Dreiviertel der Umrundung. Meine Hoffnung war, dass die Gebirgskrieger im Winter nicht angreifen würden und dass es mir gelingen würde, diese erste Verschanzung bis zum kommenden Sommer zu vollenden. Parallel dazu befahl ich meinen Männern, soweit sie keinen Wachdienst hatten, aus dem Turm zu Tulivar so etwas wie ein Kastell zu machen: Sie begannen, die relativ provisorische Mauer um das Gehöft zu verstärken. Diese würde aus massivem Sandstein bestehen, der uns aus dem Steinbruch der Provinz geliefert wurde und den ich mit klingender Münze zu zahlen hatte – ebenso wie den Vorarbeiter aus der Stadt, der sich mit so was auskannte und meine tapferen Mannen in diese Schlacht zu führen hatte. Auch hier ließ ich es langsam angehen: Niemals wurde mehr als fünf Stunden gearbeitet, und dementsprechend war der Fortschritt. Dennoch ging ich davon aus, dass Kastell Tulivar ebenfalls im Sommer des kommenden Jahres fertig sein würde. Es fehlten dann noch weitere Wehrtürme und ein zünftiger Graben für die Vollendung zur Burg, aber das waren Arbeiten, die in einer zweiten Bauphase zu erledigen waren.
Obgleich ich viel Gestöhne vernahm, sowohl von meinen Soldaten wie von den Bürgern der Stadt, sah ich doch, dass auch diese Arbeit mit der notwendigen Disziplin und Hingabe erledigt wurde. Bei einigen erkannte ich gar so etwas wie Stolz. Tulivar wurde wieder zu einer richtigen
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