Ein Lord zu Tulivar (German Edition)
ihres Verstandes beigetragen als zu seiner Eintrübung. Sie war nicht zu unterschätzen. Ich wusste, warum ich hier war.
»Theobald wird bald ein junges Ding finden und eine Familie gründen«, schloss sie. Das klang aus irgendeinem Grunde weniger wie eine Einschätzung, sondern mehr wie ein Beschluss. Ich wollte nicht Nettys Nachbar sein.
»Dann wäre da noch die andere Sache«, hob ich an. »Sie ist etwas … komplizierter. Es geht um Floßheim.«
»Es geht vor allem um Lorn, vermute ich«, schloss Netty und paffte eine große, gelbliche Rauchwolke hervor.
Ich unterdrückte den Hustenreiz und nickte.
»Ich will mich eigentlich nicht in die inneren Angelegenheiten von Floßheim einmischen«, fuhr ich fort. »Aber wir brauchen dort einige Veränderungen. Wir müssen etwas für den Handel tun. Floßheim ist der Zugangspunkt zum Rest des Reiches. Ich kann nicht verantworten, dass dort gemauert wird, womöglich im wahrsten Sinne des Wortes.«
Netty nickte. Das mit dem Handel verstand sie gut. Für ihr Alter war sie bemerkenswert geldgierig, wie ich am eigenen Leibe hatte feststellen dürfen.
»Lorn ist nur ein Symbol für Floßheim, Baron«, sagte sie mit plötzlichem Ernst. »Die Leute sind alle so. Floßheim war immer der Zugang zum Reich, gleichzeitig aber auch der Ort, an dem sich die Gegensätze zum Rest des Imperiums am deutlichsten zeigten. Alles in Bell, selbst das Dorf von Gerik, sieht besser aus als Floßheim, und man wird ständig daran erinnert. Die Floßheimer haben es sich in ihrem Elend nicht nur bequem gemacht, sie tragen es wie einen Schild vor sich her.«
Ich hob die Teetasse und verbarg damit meinen überraschten Gesichtsausdruck. Narr, schalt ich mich sofort. Wieso nur neigte ich immer noch dazu, die alte Netty zu unterschätzen?
»Ich möchte, dass Floßheim einen neuen Dorfschulzen bekommt. Ich werde meinem Mann Woldan dort ein Haus kaufen. Er ist mein Kandidat. Es ist ein beschissenes Gefühl, den Leuten jemanden von außen gewissermaßen aufzudrücken, aber …«
Netty hob die Pfeife. »Red keinen Scheiß, Baron!«
»Äh …«
»Es gibt keinen anderen Weg. Du musst sie durchschütteln, noch mehr, als du uns hier durchgeschüttelt hast. Die brauchen einen Tritt in den Hintern. Dein Mann Woldan ist ein guter Kerl. Wenn er erst einmal den richtigen Hebelpunkt gefunden hat, wird er Floßheim aus den Angeln heben.«
»Ich will ihn nicht einfach ernennen.«
»Du bist zu sentimental, Baron.«
»Einer meiner Fehler.«
»Eine Wahl also? Ah ja, die Amtszeit von Lorn endet demnächst.«
»So ist es.«
»Wie kann ich dir helfen?«
»Ich will allen Frauen das Wahlrecht geben.«
Netty paffte einen Moment vor sich hin.
»Nur in Floßheim?«
»Ich …« Darüber hatte ich mir noch gar keine Gedanken gemacht.
»Doch wohl überall in der Baronie?«, hakte Netty lauernd nach.
»Das … ist zu erwägen.«
»Zu erwägen?«
»Ich … es ist wohl folgerichtig.«
»Folgerichtig?«
Ich seufzte.
»Es ist entschieden. In ganz Tulivar sollen Frauen das Wahlrecht genießen.«
»Auch die ohne Landbesitz?«
Netty sah mich durchdringend an, angesichts der Rauchschwaden vor ihrem Gesicht eine bemerkenswerte Leistung.
Ich wusste, wann ich verloren hatte.
»Auch die ohne Landbesitz«, bestätigte ich.
Netty grunzte zufrieden. Sie erhob sich, wanderte zu einem Fenster und sah hinaus auf die große Eiche. Ich nippte an meinem mittlerweile kalten Tee.
»Hör mir gut zu, Baron«, verlangte die alte Dame schließlich. »Merk es dir, ich werde es nicht zweimal sagen!«
Ich fügte mich.
Eine Stunde später schwirrte mir der Kopf, und das lag nicht nur an Nettys Instruktionen. Der Qualm der unentwegt am Rauchen gehaltenen Pfeife hatte auf Beistehende auch so seine Auswirkungen. Ich schwankte etwas, als ich ins Freie trat. Gierig sog ich die frische Abendluft ein. Da wurde mir etwas besser.
»Noch etwas, Baron«, meinte Netty, die im Türeingang stehen blieb.
»Ja?«
»Dalina.«
»Was ist, äh, mit …«
»Niemand glaubt noch, dass ihr Verlobter jemals wieder heimkehrt. Theobald meinte, er habe eine Weile zusammen mit ihm gedient und dieser sei ein großer Freund der Huren gewesen, die den Tross begleitet haben.«
»Ah.« Ich machte ein ausdrucksloses Gesicht.
»Jeder weiß, dass ihr beide etwas füreinander empfindet.«
»Jeder?«
Netty kicherte. »Zumindest die, auf die es ankommt. Ich und Editha also.«
Ich räusperte mich, doch Netty sprach sofort weiter.
»Das geht so nicht, Baron. Du
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