Ein Lord zu Tulivar (German Edition)
Erkundigungen Woldans – nicht mehr als 200 Einwohner. Da der Dorfschulze das Reusenrecht hatte – er legte fest, welcher Fischer wie viele seiner Reusen an welcher Stelle des Flusses auslegen durfte – und außerdem über die Landnutzung der durch den Krieg verwaisten Felder mitentschied, hatte er genug in der Hand, um durch Gefälligkeiten und Liebesentzug eine enge Seilschaft zu formen. Mott hatte diese Rechte in einem weitaus geringeren Maße, denn er war auf eine Zusammenarbeit mit dem der Krone verpflichteten Kastellan angewiesen gewesen. Dies hatte zu einer gewissen Balance geführt. Dazu kam sicher, dass Mott vom Charakter her ein eher ausgeglichener und freundlicher Mann war, während Lorn als relativ übellaunig und nachtragend galt.
Woldan jedenfalls organisierte ein großes Teekränzchen in seinem Haus und kredenzte mehrere Runden exklusiv von Dalina gebackenem Kuchen (einige Tage alt, aber das tat dem Genuss kaum Abbruch). Er versprach eine Anlegestelle für all jene Fischer, die endlich mal wieder mit einem Boot auf den Fluss wollten, was die ehrgeizigen ihrer Ehefrauen sehr erfreute. Aus Bell rekrutierte er eine Heilerin, die künftig einmal pro Woche nach Floßheim kam und sich um die Kranken kümmerte. Er veranstaltete einen gemeinsamen Markt mit dem Nachbardorf, und während die Männer der beiden Ortschaften sich offenbar nicht leiden konnten, waren die Frauen um einiges pragmatischer.
All das hätte am Ende wahrscheinlich nur wenig genützt, wenn Lorn seine Kandidatur nicht zurückgezogen hätte.
Und schuld daran war seine Frau.
Es war die alte Netty, die mich auf diese Idee gebracht hatte.
Es war ein spätsommerlicher Tag gewesen, einige Wochen vor der Wahl, als die Debatte um Woldans Kandidatur langsam heiß wurde, da hatten wir beide der guten Glora einen freundlichen Besuch abgestattet. Eigentlich war Netty, die offenbar jeden und jede in Tulivar kannte, die Besuchende und ich war eher zufällig des Weges gekommen. Da die meisten Bewohner Floßheims mich gar nicht erkannten, denn meine offizielle Präsenz im Dorf war eher sporadisch gewesen, verlief dies ohne größeren Aufwand.
Glora war eine freundlich, rundliche Frau mit zahlreichen Lachfalten um die Augen. Ihre rosige Gesichtshaut strahlte so viel Lebensfreude aus, dass ich mich fragte, wie Lorn zu jener Zeit gewesen sein musste, als er diese Frau geheiratet hatte – wahrscheinlich so ganz anders als das verkniffene Männlein, dem ich begegnet war.
»Netty!«
»Glora!«
Es gab heftiges Umarmen und Geküsse, das ich schweigsam beobachtete. Dann wandte sich Glora mir zu und schenkte mir ein so warmes Lächeln, das ich fast sofort um ihre Hand angehalten hätte. Bei allen Göttern, durchfuhr es mich, dieser Lorn hatte so eine Frau gar nicht verdient!
Die Frau des Schulzen zeigte sich absolut nicht überrascht, in mir den neuen Baron zu erkennen, jenen Mann, der für Lorn eine Nemesis sein musste. Sie lud mich herzlich in die gemütliche Wohnküche ein und deckte den Tisch mit einer Geschwindigkeit ihrer Hände, die ich bisher nur bei professionellen Messerwerfern erblickt hatte. Binnen kürzester Zeit türmten sich Berge von Speisen und Getränken vor uns auf, sodass sich mir unwillkürlich die Frage aufdrängte, warum Lorn so ein dürrer Mann war. Ich hätte als Ehemann der Glora innerhalb weniger Monate meinen Leibesumfang verdoppelt.
Aus irgendeinem Grunde musste ich jetzt an Kuchen denken.
Ich schob den Gedanken beiseite.
»Glora, wir müssen über Lorn reden«, kam Netty ohne Umschweife zum Thema.
Gloras eben noch so fröhliches Gesicht verdüsterte sich. Sie wischte ihre Hände an der farbenfrohen Schürze um ihren Bauch ab und setzte sich. »Was hat er wieder angestellt? Dieser Mann bringt mich zur Verzweiflung«, erklärte sie bekümmert.
»Er macht dir Sorgen, ja?«, hakte Netty mit wissendem Nicken nach.
»Er ist furchtbar. Auf der einen Seite sitzt er jeden Tag mit seinen Freunden in der Dorfschänke. Wichtige Amtsgeschäfte, sagt er. Das Haus gehört gestrichen. Nein, wichtige Amtsgeschäfte. Die Apfelbäume gehören geerntet. Nein, wichtige Amtsgeschäfte. Der Zaun muss ausgebessert werden. Nein … ach, was sage ich.« Glora schniefte und sah mich aus den Augenwinkeln an. Ich bemühte mich um einen Gesichtsausdruck mitfühlenden Interesses. Dies war Nettys Spiel, ich war nur Staffage.
»Das ist aber doch nicht alles, liebe Glora!«, fragte Netty.
»Nein. Das Einzige, worauf er regelmäßig besteht, ist die
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