Ein Lotterie-Loos
würde ihn der Schwindel packen, würde ihn hinabziehen, und Ihr wäret Beide verloren.
– Und Du, Joël?
– Nun, während Du von oben herkommst, krieche ich längs des Maan an dem Felsen hin. Ich werde schon zur Stelle sein, wenn Du hinkommst, und wenn er ausgleitet, könnte ich Euch vielleicht Beide noch halten!«
Dann rief Joël mit lautschallender Stimme, während einer neuen Pause des Rjukansos: »Rühren Sie sich nicht, Herr!… Warten Sie!… Wir versuchen, zu Ihnen zu gelangen!«
Hulda war schon hinter dem hohen Gebüsch des Abhanges verschwunden, um sich von der anderen Seite nach dem Kamm des Maristien zu begeben.
Joël sah das muthige Mädchen um die Ecke der Bäume wieder erscheinen.
Er selbst begann mit wahrer Lebensgefahr langsam längs des abschüssigen Theiles dieses runden Steinrückens, der den Einschnitt des Rjukansos überragt, hinab zu klettern oder zu kriechen. Welch’ ruhiges Blut, welche Sicherheit des Fußes wie der Hand gehörte aber dazu, sich neben diesem Schlunde zu halten, dessen Wände von dem Staubregen des Wasserfalles immer feucht gehalten wurden!
In gleicher Linie mit ihm, nur etwa hundert Fuß höher oben, drang Hulda in schräger Richtung vor, um so bequem als möglich, nach der Stelle zu gelangen, an der der Fremde bewegungslos lag. Bei der von demselben eingehaltenen Lage konnte man das Gesicht, das sich nach dem Falle wendete, nicht erkennen.
Unter Jenem angekommen, hielt Joël ein. Nachdem er sich in einer Felsenspalte fest eingeklemmt, rief er laut:
»Heda!… Herr!«.
Der Reisende wendete den Kopf.
»Machen Sie ja keine Bewegung, Herr, fuhr Joël fort, nicht die geringste, und halten Sie sich nur tüchtig fest!
– Ohne Sorge, Freund, ich halte mich schon ordentlich! antwortete dieser in einem Tone, der Joël beruhigte. Wenn ich mich nicht fest hielte, läge ich wohl schon eine Viertelstunde im Grunde des Rjukansos.
– Meine Schwester wird bis zu Ihnen hinabgleiten, sagte Joël weiter, und wird Sie an der Hand erfassen. Doch bevor ich auch bei Ihnen bin, versuchen Sie nicht, etwa aufzustehen!… Rühren Sie sich am liebsten gar nicht…
– So wenig wie ein Felsen!« erwiderte der Reisende.
Schon begann Hulda von ihrer Seite aus herbeizuklimmen, indem sie die wenigst schlüpfrigen Stellen des Gesteins aussuchte und den Fuß in kleine Aushöhlungen setzte, wo er einen verläßlichen Stützpunkt fand – immer kühn und sicher, wie man es von diesen Mädchen aus Telemarken kennt, die von Kindheit an mit den Abhängen der Fjelds vertraut sind.
Und ebenso wie Joël gerufen, rief auch sie:
»Halten Sie fest, Herr!
– Ja, ich halte fest… und werde sicherlich festhalten, so lange ich irgend kann!«
An guten Rathschlägen, die von oben und unten kamen, fehlte es ihm also gerade nicht.
»Vorzüglich haben Sie keine Furcht! setzte Hulda hinzu.
– Ich habe keine Furcht!
– Wir retten Sie! rief Joël.
– Ich hoffe darauf, denn – beim heiligen Olaf – allein mich zu retten, wäre ich außer Stande!«
Offenbar hatte sich der Fremde alle seine Geistesgegenwart bewahrt; nach dem Niederfallen mochten ihm wohl Arme und Beine den Dienst versagt haben, und was er jetzt thun konnte, bestand nur darin, sich an den schwachen Vorsprung zu klammern, der ihn noch vom Abgrund trennte.
Hulda kam inzwischen tiefer herunter. Wenige Augenblicke später befand sie sich neben dem Fremden und ergriff diesen, nachdem sie den Fuß gegen eine rauhere Stelle des Gesteins gestemmt, an der Hand.
Der Fremde versuchte, sich ein wenig aufzurichten.
»Rühren Sie sich nicht, mein Herr!… Nicht rühren!… sagte Hulda. Sie würden mich mit hinabziehen und ich wäre dann nicht stark genug, Sie zu halten. Wir müssen noch meinen Bruder abwarten. Wenn er sich zwischen uns und dem Rjukansos befindet, werden Sie sich erheben dürfen, um…
– Mich erheben, liebes Kind, das ist freilich leichter gesagt, als gethan, und ich fürchte am Ende, es kaum im Stande zu sein.
– Haben Sie sich etwa gar verletzt?
– Hm, gebrochen oder verrenkt hab’ ich wahrscheinlich nichts, ich hoffe es wenigstens, aber eine tüchtige Schramme werde ich wohl am Bein haben.«
Joël befand sich jetzt noch zwanzig Schritte von der Stelle, wo sich Hulda und der Reisende festhielten. Der gekrümmte Verlauf des Felsrückens hatte ihm nicht gestattet, geradenwegs auf dieselben zuzuklettern, und jetzt mußte er noch den abgerundeten Grat desselben emporklimmen. Das war das schwierigste und auch das
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