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Ein Lotterielos. Nr. 9672

Ein Lotterielos. Nr. 9672

Titel: Ein Lotterielos. Nr. 9672 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Brief von ihm?«
    »Nein, keiner!«
    Hulda drangen die Tränen aus den Augen.
    »Nein«, rief da Joel, »weine nicht, liebe Schwester, weine
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    nicht! Du tust mir zu weh! Ich kann dich nicht weinen se-
    hen! Sieh einmal, du sagst: ›Kein Brief !‹ Ich gebe ja zu, daß
    das allmählich beunruhigend wird, doch zu verzweifeln ist
    es noch gar kein Grund. Wenn du willst, begebe ich mich
    sofort nach Bergen und ziehe dort Erkundigungen ein; ich
    suche die Herren Gebrüder Help auf; vielleicht haben diese
    Nachrichten von Neufundland. Könnte die ›Viken‹ nicht
    infolge erlittener Beschädigungen in irgendeinen Hafen ha-
    ben einlaufen oder vor dem schlechten Wetter entfliehen
    müssen? Es steht ja fest, daß der Wind seit einer ganzen
    Woche schon recht stürmisch weht. Schon mehr als einmal
    haben Schiffe von Neufundland aus bei Island oder zwi-
    schen den Faröer Schutz suchen müssen. Ole hat es ja selbst
    schon erlebt, als er vor 2 Jahren auf der ›Strenna‹ fuhr. Man
    hat eben nicht alle Tage Gelegenheit, einen Brief abzusen-
    den. Ich sage dir das, ganz wie ich’s mir denke, Schwester-
    chen. Fasse dich! Beruhige dich! Wenn du mich auch zum
    Weinen bringst, was soll dann aus uns werden?«
    »Ach, der Kummer überwältigt mich doch!«
    »Hulda . . . Hulda . . . Verlier’ den Mut nicht . . .! Ich versi-
    chere dir, daß ich noch lange nicht verzweifle!«
    »Darf ich dir glauben, Joel?«
    »Und ob du das kannst! Doch willst du, um deiner Be-
    ruhigung willen, daß ich nach Bergen aufbreche . . . morgen
    früh . . . oder noch heut’ abend . . .?«
    »Ich will nicht, daß du mich allein läßt! Nein, das will ich
    nicht!« antwortete Hulda, die sich an ihren Bruder klam-
    merte, als ob sie in der Welt niemand außer ihn habe.
    — 78 —
    Beide schlugen den Weg nach dem Gasthaus wieder ein.
    Es hatte jedoch wieder zu regnen angefangen, und auch der
    Wind blies so heftig, daß sie sich wenige hundert Schritte
    vom Ufer des Maan in die Hütte des Fährmanns flüchten
    mußten.
    Hier warteten sie nun wohl oder übel, bis sich das Wet-
    ter etwas besserte. Joel empfand das Bedürfnis zu sprechen,
    was es auch sei. Das Stillschweigen schien ihm schlimmer,
    als alles, was er sagen konnte, wenn das auch keine Trost-
    worte waren.
    »Und unsere Mutter?« begann er.
    »Sie wird immer niedergeschlagener, immer trauriger«,
    antwortete Hulda.
    »Ist während meiner Abwesenheit jemand gekommen?«
    »Ja, ein Reisender, der aber schon wieder fort ist.«
    »Jetzt ist also kein Fremder im Haus, und es hat auch
    niemand einen Führer verlangt?«
    »Nein, Joel.«
    »Desto besser, denn es ist mir lieber, dich nicht zu verlas-
    sen. Wenn das schlechte Wetter übrigens jetzt so fortdauert,
    fürchte ich sehr, daß die Touristen dieses Jahr darauf ver-
    zichten, Telemarken zu besuchen.«
    »Es ist noch sehr zeitiges Frühjahr, Bruder.«
    »Gewiß, aber ich habe so eine Art Vorgefühl, daß es für
    uns kein gutes Jahr wird. Indes, das wird sich ja zeigen.
    Doch sag mir, gestern hat jener Reisende Dal schon wieder
    verlassen?«
    »Ja, noch am Vormittag.«

    — 79 —
    — 80 —
    »Und wer war es?«
    »Ein älterer Mann, der von Drammen kam, wo er dem
    Anschein nach wohnt, und der sich Sandgoist nennt.«
    »Sandgoist?«
    »Solltest du ihn kennen?«
    »Nein!« antwortete Joel.
    Hulda hatte sich schon gefragt, ob sie Joel alles, was sich
    während seiner Abwesenheit im Gasthaus zugetragen hatte,
    erzählen solle. Wenn Joel vernahm, mit welcher Unge-
    niertheit jener Mann sich benommen, wie er offenbar den
    Wert des Gebäudes und des Mobiliars berechnet, und wel-
    ches Benehmen ihre Mutter jenem gegenüber einzuhalten
    für angezeigt gehalten habe – was würde er davon denken?
    Mußte er nicht auf die Vermutung kommen, daß die Mutter
    sehr wichtige Gründe haben müsse, so zu handeln, wie sie
    es getan hatte? Und doch, was konnte sie mit jenem Sand-
    goist zu tun haben? Hier lag sicherlich ein der ganzen Fami-
    lie unheildrohendes Geheimnis vor. Joel würde das erfah-
    ren wollen, er würde seine Mutter danach fragen, würde sie
    bestürmen . . . Frau Hansen aber, die im allgemeinen wenig
    mitteilsam und nicht leicht geneigt war, jemand in ihr Inne-
    res blicken zu lassen, würde doch ihr Stillschweigen ebenso
    bewahren, wie sie es bis jetzt getan hatte. Daß schon so be-
    trübende Verhältnis zwischen ihr und ihren Kindern drohte
    damit aber nur noch schwieriger zu werden.
    Doch hätte das junge Mädchen gegen Joel

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