Ein Lotterielos. Nr. 9672
Bürgerschaft und den Bauernstand gibt, so
zählt man in Norwegen nur drei, denn hier fehlt der Adel
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gänzlich; hier hat man keinen Vertreter der Aristokratie,
nicht einmal unter den höchsten Beamten. In diesem sozu-
sagen privilegierten Land existieren keine Privilegien; die
Beamten sind nur die ergebenen Diener des ganzen Volkes.
Alles in allem herrscht hier also vollkommene gesellschaft-
liche Gleichheit, kein politischer Unterschied.
Da Sylvius Hog einer der bedeutendsten Männer seines
Landes war, wird man sich auch nicht wundern, daß er zum
Mitglied des Storthings gewählt wurde. In dieser großen
Versammlung übte er ebenso durch seine wissenschaftliche
Begabung, wie durch die Makellosigkeit seines privaten und
öffentlichen Lebens einen Einfluß aus, dem sich sogar die
vielen, von den Landbewohnern erwählten Bauerndepu-
tierten willig unterordneten.
Seit der Konstitution von 1814 kann man eigentlich mit
Recht sagen: Norwegen ist eine Republik mit dem König
von Schweden als Repräsentanten.
Es versteht sich von selbst, daß dieses auf seine Ausnah-
mestellung eifersüchtige Norwegen seine Selbstregierung
sorgsam bewahrt hat. Das Storthing hat nichts gemein mit
dem schwedischen Reichstag. Man wird also verstehen, daß
ein besonders einflußreiches und patriotisches Mitglied
jenseits der idealen Grenze, die Schweden von Norwegen
trennt, nicht gerade wohl angesehen sein konnte.
Das war auch der Fall mit Sylvius Hog. Von unabhängi-
gem Charakter, der lieber nichts sein wollte, hatte er wie-
derholt schon abgeschlagen, in das Ministerium einzu-
treten, und als eifriger Verfechter aller Rechte Norwegens
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stand er stets und unerschütterlich allen Verlockungsversu-
chen Schwedens feindlich gegenüber.
Die moralische und politische Trennung beider Länder,
deren Vorteil doch nach allen Seiten eine innigere Verbin-
dung sein müßte, ist wirklich eine so bestimmte, daß der
König von Schweden – zu jener Zeit Carl Johann XV. – nach
der Krönung in Stockholm sich auch noch in Drontheim,
der alten Hauptstadt Norwegens, krönen lassen mußte. Und
so weit geht die fast als Mißtrauen zu bezeichnende Zurück-
haltung der Norweger in geschäftlichen Angelegenheiten,
daß die Bank von Christiania nicht gern die Kassenscheine
der Stockholmer Reichsbank annimmt, und die streng fest-
gehaltene Unterscheidung zwischen beiden Völkern reicht
so weit, daß die Flagge Schwedens weder auf den Gebäuden
noch auf den Schiffen Norwegens weht. Die eine ist blau
mit einem gelben Kreuz, die andere rot mit blauem Kreuz,
nur das obere Eckfeld am Flaggenstock enthält das von nor-
wegischer Seite ebenfalls vielfach bestrittene Unionszeichen
beider Länder.
Sylvius Hog lebte aber mit Herz und Seele für sein Nor-
wegen, dessen Interessen er bei jeder Gelegenheit vertei-
digte; und als das Storthing 1854 die Frage verhandelte,
nicht ferner mehr einen Vizekönig und auch keinen Statt-
halter mehr an der Spitze des Reichs zu dulden, gehörte er
zu denjenigen, die am erfolgreichsten in die Diskussion ein-
griffen und jenem Prinzip zum Sieg verhalfen.
Man begreift also, daß, wenn er im Osten des König-
reichs nicht besonders beliebt war, er sich dessen doch im
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Westen und selbst in den entlegensten Gaards des Landes
rühmen konnte. Das bergerfüllte Norwegen hallte von der
Umgebung Christianias bis zu den letzten Felsklippen des
Nordkaps von seinem Namen wider. Würdig dieser voll-
gewichtigen Popularität, hatte auch noch keine Verleum-
dung weder den Abgeordneten, noch den Rechtslehrer von
Christiania erreichen können. Er war ein rechter Norwe-
ger, aber ein Norweger von lebhaftem Blut, ohne das an-
geborene Phlegma seiner Landsleute, und in Wort und Tat
schneller entschlossen, als es das skandinavische Tempera-
ment sonst zuläßt.
Es verriet sich das auch durch seine raschen Bewegun-
gen, durch die Wärme seines Worts und die Lebhaftigkeit
seiner Gesten. Wäre er in Frankreich geboren gewesen, so
hätte man gewiß nicht gezögert, ihn ein »Kind des Südens«
zu nennen, wenn dieser Vergleich, der übrigens hier seine
volle Berechtigung hat, gestattet ist.
Die Vermögensverhältnisse Sylvius Hogs waren recht
gute zu nennen, obgleich man ihn nicht einen Krösus nen-
nen konnte. Als uneigennützige Seele dachte er fast niemals
an sich selbst, wohl aber immer an andere. Ebensowenig
strebte er nach hohen Ämtern und
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