Ein Lotterielos. Nr. 9672
Wo könnte man eine bessere Be-
handlung finden, als in dem vortrefflichen Gasthaus zu
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Dal? Und dann dieses gute Bett mit seinen Sinnsprüchen,
die gewiß mehr wert sind, als die entsetzlichen Formeln der
Fakultät. Das hübsche Fenster hier, das den Ausblick nach
dem Tal des Maan gewährt, das Murmeln des Wassers, das
bis nach meinem Schlafraum hereindringt, der Duft der al-
ten Bäume, die rings um das Haus einen grünen Rahmen
bilden, die gute Luft, die würzige Bergluft – ist das nicht al-
les die beste Arznei, die man nur finden kann? Bedarf man
derselben, so braucht man nur das Fenster zu öffnen, da
kommt sie von selbst, stärkt und erquickt den Schwachen
und – setzt ihn nicht einmal auf strenge Diät!«
Er sagte das alles so heiter, dieser Sylvius Hog, daß mit
ihm wirklich etwas wie ein Hauch von Glück in das Haus
einzuziehen schien. Diesen Eindruck hatten wenigstens der
Bruder und die Schwester, die sich an der Hand haltend,
ihm zuhörten und beide dieselbe Regung empfanden.
Der Professor war zuerst nach dem Zimmer im Erdge-
schoß geführt worden. Jetzt saß und lag er halb in einem
großen Armstuhl und hatte das Bein auf ein Bänkchen aus-
gestreckt, während Hulda und Joel sich seiner Pflege wid-
meten. Außer einen Umschlag von frischem Wasser wollte
er kein anderes Heilmittel, und in der Tat brauchte er ja
auch kein weiteres.
»Gut, liebe Freunde, ganz gut!« sagte er. »Man darf mit
den Medikamenten keinen Mißbrauch treiben. Ah, ihr wißt
es schon, ohne eure Zuvorkommenheit hätte ich bald etwas
zu viel von den Wundern des Rjukanfos kennengelernt –
ich wäre wie ein Felsstück einfach in den Schlund hinab-
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gerollt. Dann wäre eine neue Fabel zu der längstbekannten
Fabel des Maristien hinzugekommen, und ich hätte dafür
nicht einmal eine Entschuldigung gehabt! Mich erwartete
ja keine Braut am anderen Rand, wie jenen unglücklichen
Eystein!«
»Und welcher Schmerz wäre das für Frau Hog gewesen«,
sagte Hulda. »Sie würde sich nimmer haben trösten kön-
nen . . .«
»Frau Hog?« erwiderte der Professor. »O, Frau Hog hätte
gewiß nicht eine einzige Träne vergossen.«
»Aber, Herr Sylvius!«
»Nein, sag’ ich euch, einfach aus dem Grund, weil es gar
keine Frau Hog gibt. Ich könnte mir auch kaum vorstellen,
wie eine Frau Hog hätte aussehen sollen – ob fett oder ma-
ger, klein oder groß.«
»Als Ihre Gattin hätte sie sicherlich liebenswürdig, geist-
voll und gut sein müssen«, meinte Hulda.
»Ei wirklich, mein Schatz? Gut, gut, ich will Ihnen glau-
ben! Ja, ich glaube Ihnen!«
»Doch wenn Ihre Eltern, Ihre Freunde von einem sol-
chen Unfall Kunde bekommen hätten . . .?« sagte Joel.
»Eltern hab’ ich ebensowenig, mein Sohn! Freunde – nun
ja, es scheint ja, als wenn ich deren nicht wenig zählte, abge-
sehen von denen, die ich mir im Haus von Frau Hansen zu
erwerben hoffe, und denen habt ihr beide ja die Mühe ab-
genommen, mich zu beweinen. Doch, liebe Kinder, sagt mir
erst, könnt Ihr mich denn auch einige Tage hier behalten?«
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»So lange es Ihnen gefällt, Herr Sylvius«, versicherte
Hulda. »Dieses Zimmer gehört ganz Ihnen.«
»Ich hatte ja schon vorher die Absicht, mich in Dal auf-
zuhalten, wie es wohl alle Touristen tun, um von hier aus
Telemarken nach allen Seiten durchstreifen zu können . . .
Jetzt wird’s nun damit freilich nichts, oder es geschieht doch
erst später, das ist alles.«
»Vor Ende der Woche, Herr Sylvius«, meinte Joel, »hoffe
ich, daß Sie wieder vollständig auf den Füßen sein wer-
den.«
»Und ich hoffe es nicht minder.«
»Dann bin ich gern erbötig, Sie in dem Bezirk, wo Sie es
wünschen, umherzuführen.«
»Das werden wir ja sehen, Joel; davon sprechen wir, wenn
ich erst wieder mehr hergestellt bin. Noch hab’ ich einen
ganzen Monat Ferien vor mir, und wenn ich den ganz im
Gasthaus von Frau Hansen verbringen sollte, wär’ ich doch
gewiß nicht zu beklagen. Ich muß von hier aus doch das
Vestfjorddal zwischen den beiden Seen besuchen, muß den
Gusta besteigen und einmal nach dem Rjukanfos zurück-
kehren, denn wenn ich auch beinah ein freiwilliges Sturz-
bad darin genommen hätte, hab’ ich ihn doch eigentlich we-
nig gesehen . . . Und das möchte ich nicht versäumen.«
»Sie werden noch einmal dahin zurückkehren, Herr Syl-
vius«, antwortete Hulda.
»Nun, wir begeben uns alle dahin mit der guten
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