Ein Lotterielos. Nr. 9672
Joels und noch mehr um Hulda Hansens
willen vor allem wichtig erschien, deren Inkognito zu be-
wahren. Der Leser weiß ja, wie viel schon von dem jungen
Mädchen gesprochen und verbreitet worden war, und das
hätte sie hier ungemein belästigen müssen, wenn die Leute
ihre Ankunft in Christiania erfuhren.
Nach der Verabredung sollte der Professor die Geschwis-
ter am nächsten Tag nicht vor der Frühstücksstunde, das
heißt zwischen 11 und 12 Uhr, sehen.
Er hatte einige notwendige Geschäfte zu besorgen, die
den ganzen Vormittag in Anspruch nahmen, und erst nach
deren Abwicklung wollte er Hulda und Joel aufsuchen,
um sie nachher nicht wieder verlassen zu müssen, denn er
hoffte dann bei ihnen bleiben zu können, bis die Ziehung
der Lotterie um 3 Uhr ihren Anfang nahm.
Sobald Joel aufgestanden war, begab er sich zu seiner
Schwester. Diese erwartete ihn schon völlig angekleidet in
ihrem Zimmer.
In der Hoffnung, sie ein wenig von ihren gerade heute
gewiß schmerzlichen Gedanken abzulenken, schlug Joel ihr
vor, bis zur Frühstückszeit etwas spazierenzugehen. Um ih-
rem Bruder den Willen zu tun, nahm sie dessen Vorschlag
an, und beide begaben sich auf gut Glück direkt in die Stadt
hinein.
Es war ein Sonntag. Ganz entgegen der gewöhnlichen Er-
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scheinung in nördlichen Städten, wo an Sonn- und Festta-
gen die Anzahl der Spaziergänger meist beschränkt ist, zeig-
ten sich die Straßen heute merkwürdig belebt. Nicht allein
hatten die Einwohner selbst die Stadt heute nicht verlassen,
sie sahen im Gegenteil auch einen Teil der Landbevölke-
rung in den Straßen zusammenströmen. Auf der Eisenbahn
des Mjöse-Sees, welche die Umgebungen der Hauptstadt
durchschneidet, hatte man sogar Extrazüge einlegen müs-
sen; so viel Neugierige und zum größten Teil Interessenten
hatte die volkstümliche Lotterie der Schulen von Christia-
nia herbeigezogen.
So bewegten sich also viele Leute durch die Straßen
hin, oft ganze Familien, wenn nicht gar ganze Dorfschaf-
ten, die alle mit der geheimen Hoffnung gekommen waren,
keine unnütze Fahrt unternommen zu haben. Doch, man
bedenke nur, die Million Lose war untergebracht worden,
und wenn sie auch nur einen Gewinn von 1- oder 200 Mark
machten, wie viele brave Leute wären, höchst zufrieden mit
ihrem Los, freudig nach ihren kleinen Saeters oder ihren
bescheidenen Gaards heimgekehrt!
Vom Hotel Victoria aus begaben sich Joel und Hulda zu-
nächst hinunter bis nach den Kais, die sich an der Ostseite
der Bucht hinziehen. Hier war der Menschenandrang nicht
so groß, höchstens in den Wirtshäusern, wo das Bier und
der Branntwein in vollen Schoppen und bis zum Rand vol-
len Spitzgläsern an fortwährendem Durst leidende Kehlen
erquickte.
Während Bruder und Schwester so zwischen den Ma-
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gazinen, den Reihen großer Fässer, den hohen Haufen von
Kisten und Ballen von jeder Herkunft hinwandelten, zo-
gen doch die im Land vertäuten oder draußen im Wasser
verankerten Schiffe ihre Aufmerksamkeit ganz besonders
auf sich, da sich darunter ja leicht eines finden konnte, das
zum Hafen von Bergen gehörte, nach dem die ›Viken‹ nicht
mehr zurückkehren sollte.
»Ole! . . . Mein armer Ole!« murmelte Hulda.
Joel bemühte sich daher, sie wieder von der Bucht fort
und nach den hochgelegene Teilen der Stadt zu führen.
Hier hörten sie nun in den Straßen, auf den Plätzen und
aus einzelnen Gruppen heraus wiederholt Äußerungen, die
sie selbst nah berührten.
»Ja«, sagte der eine, »man hat für die Nummer 9672 wohl
bis 10.000 Mark geboten.«
»10.000?« antwortet ein anderer. »Ich habe von 20.000
und noch mehr reden hören.«
»Herr Vanderbilt aus New York soll bis auf 30.000 ge-
gangen sein.«
»Und die Herren Baring aus London bis auf 40.000!«
»Und die Herren Gebrüder Rothschild bis auf 60.000.«
Man weiß ja, was von solchen volkstümlichen Übertrei-
bungen zu halten ist. Wenn die Steigerung in dieser Weise
weiterging, wäre bald ein höherer Preis für das Los erreicht
worden, als der Ertrag des ersten größten Gewinns aus-
machte.
Doch wenn diese Neuigkeitsjäger bezüglich der Zahl der
Hulda Hansen gemachten Angebote und bezüglich deren
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Höhe nicht übereinstimmten, so war die Menge doch völlig
einig in Beurteilung der elenden Handlungsweise des Wu-
cherers in Drammen.
»Welch gottloser Schurke, dieser Sandgoist, der kein
Mitleid hat mit den wackeren
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