Ein Lottogewinn und 8 Millionen andere Probleme
eine Straße weiter wohnte. Sie drückte mir einen Zehner für das Taxi in die Hand.
»Lass nur …«, wehrte ich ab, aber sie sagte energisch: »Doch!«
Auf der Hauptstraße ließ ich den Fahrer halten und zahlte 68,44 Pfund. Es kostet irre viel, wenn man dasTaxi warten lässt. Brachte ich jetzt Shazias Seelenheil in Gefahr, wenn ich ihr die Endsumme verschwieg? Andererseits war sie nur mitgekommen, um uns einen Gefallen zu tun … und ich hätte das Taxi ja zwischendurch wegschicken können. Puh, war das alles kompliziert! Ob unsere Freundschaft das aushalten würde? Hoffentlich. Ich konnte mir nicht vorstellen, ohne Shaz klarzukommen.
Ich betrat das Internetcafé. Heute war mehr los. Alle Plätze waren belegt. Die Kundschaft bestand hauptsächlich aus verschwitzten Männern (es stank zum Himmel), aber ich entdeckte auch zwei Gruppen von Mädchen aus der Schule. Anscheinend hatten sie herausbekommen, dass Raf hier arbeitete. Zwar hatten sie die Facebook-Seite geöffnet, aber sie kicherten und tuschelten die ganze Zeit. Alicia zeigte mir den Stinkefinger. Ich tat so, als hätte ich nichts gesehen.
Raf saß hinter dem Tresen und las Zeitung. Mein Herz machte einen Satz. Doch als ich hinging, stellte ich fest, dass es nur Rafs Bruder Jasper war. Er grinste anzüglich. »Hallo!«
Er legte die Zeitung weg. Die Ausgabe war schon ein paar Tage alt und enthielt ein Interview mit mir zum Thema: »Zehn Dinge, die ich toll finde.«
»Du bist Lia, stimmt’s? Tut mir leid wegen neulich. Ich habe da wohl was falsch verstanden. Du willst bestimmt Rafael besuchen. Er wird sich freuen. Ich rufe ihn kurz an, dass er runterkommen soll.«
Ich strahlte Jasper schwachsinnig an und sagte: »Super! Danke!«
Er rief Raf an. Niemand ging ran. Auch nicht beimzweiten Versuch. Jasper steckte das Handy ärgerlich weg und ging zur Hintertür des Cafés.
»Ich hab’s ihm schon so oft gesagt, dass er sein Telefon nicht ausstellen soll! Ich bin gleich wieder da.«
Ich stand verlegen herum. Als ich Alicias Blick im Rücken spürte, folgte ich Jasper. Er polterte die Treppe hoch und hörte wahrscheinlich gar nicht, dass ich hinter ihm war. Ja, ich geb’s zu, ich war neugierig, wie es bei Raf aussah.
Oben schloss Jasper eine Tür auf. Ich sah ein Büro, ganz ähnlich wie das in unserer Bäckerei. Allerdings war Dads Büro immer sauber und aufgeräumt und hatte Teppichboden und Bilder an den Wänden. Dieser Raum hier war voller eingestaubter Papierstapel und auf dem Boden lag schmutziges, abgetretenes Linoleum.
In Dads Büro war auch keine Matratze in der Ecke. Eine Matratze, auf der jemand lag.
Raf.
12
Geld kann einen zum Außenseiter
machen – wie Mundgeruch.
Es erschwert normale Beziehungen.
»Scheiße!« Jasper rannte zu seinem Bruder und drehte ihn auf den Rücken. Ich stand wie angewurzelt in der Tür.
»Wach auf! Wach auf!« Jasper schüttelte Raf unsanft. Als das nichts half, verpasste er ihm eine Ohrfeige.
Mir schnürte es die Kehle zusammen. Ich bekam keine Luft mehr. War Raf tot? Hatte Jasper ihn zusammengeschlagen?
Ein Schauder überlief Raf und er öffnete die Augen. Ich versteckte mich rasch hinter der Tür.
»Was ist denn?«, fragte Raf und Jasper antwortete irgendwas, aber da schlich ich schon auf Zehenspitzen die Treppe wieder runter. Ich hatte so weiche Knie, dass ich mich an der Wand festhalten musste.
Unten im Café überlegte ich, was ich jetzt machen sollte. Einfach gehen? Die Polizei verständigen oder das Jugendamt? Oder dableiben und abwarten?
»Hi, Lia.« Oh nein! Das waren Alicia und Georgia.
»Hi«, erwiderte ich lahm.
»Was machst du denn hier? Hast du dir noch keinen eigenen Computer gekauft, wo du jetzt so reich bist?«
»Das geht euch nichts an.«
»Oder willst du dir hier einen Freund kaufen?«, stichelte Georgia.
»Verpiss dich.«
»Wenn du die Jungs nicht bezahlst, kriegst du nämlich keinen ab. Und auch dann hält es dein Freund nur mit dir aus, wenn er dir ’ne Plastiktüte über dein hässliches Gesicht zieht.«
Entweder hörte ich weg oder …
»Halt’s Maul!«
»Schlampe!«
»Miststück!«
»Opfer!«
Jemand fasste mich am Arm.
»Tag, Lia. Jasper meinte, du willst mich sprechen?«
Raf war totenbleich. Neben seinem fast verblassten Veilchen prangte ein knallroter Abdruck. Dabei sah er so stylish aus wie immer. Niemand sonst sah in einem ganz normalen T-Shirt derart gut aus.
Ich funkelte Georgia bitterböse an, dann riss ich mich zusammen. »Tag, Raf. Es geht um … um die
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