Ein Macho auf Abwegen
können. So möchte ich niemals mehr auf einer Bühne stehen. Nein, so
möchte ich nicht vor meinem Publikum auftreten. Ja, und die Musik, und vor
allen Dingen auf einer Bühne zu stehen und Konzerte zu geben, das war mein
Leben. – Ich kann keinen Sport mehr machen. Ich werde immer auf fremde Hilfe
angewiesen sein. Ich kann nicht sagen: Dieses oder jenes mache ich mal eben.
Alles, ohne Ausnahme, ist mühsam, beschwerlich und umständlich. – Mein Haus
wird demnächst behindertengerecht umgebaut, ebenso wie mein Wagen umgerüstet
werden muss. Dann brauche ich wenigstens für diese kleinen alltäglichen Dinge
niemanden um Hilfe bitten. – Aber das Entscheidendste, Frau Hofmüller, hat mit
diesen rein körperlichen Einschränkungen nicht das Geringste zu tun. Wäre mein
Leben bisher anders verlaufen, könnte ich damit einigermaßen leben, es hat
jedoch so stattgefunden, wie es allgemein bekannt ist.“
Er atmete einmal tief durch, bevor er Sylvia Hofmüller
unerbittlich in die Augen sah. Es fiel ihm sichtlich schwer sein
bedeutungsvollstes Problem darzulegen.
Er räusperte sich und redete weiter. Man musste sich ganz
und gar konzentrieren, um ihn verstehen zu können. „Ich habe fast fünfzig Jahre
lang auf die Frau meines Lebens warten müssen und diese Frau vor noch nicht
allzu langer Zeit endlich gefunden.“ Er lachte einmal beinahe spöttisch auf.
„Spätes Glück, nennt man das wohl! – Meine Frau hat eine riesige Lücke in
meinem Dasein geschlossen. Seit ich sie kenne, ist mein Leben zum ersten Mal
ausgefüllt. Sie würden es vielleicht Schicksal nennen. – Ich weiß nicht, wer
oder was es gewesen ist, aber ich weiß, dass es vollkommen war. Jemand hat mir
meinen perfekten Menschen geschickt. Und wenn man den richtigen Partner
gefunden hat, da dauert es nicht sehr lange, und man hat einfach automatisch
das Verlangen gemeinsam mit diesem Menschen ein Kind zu bekommen. Ich wünsche
mir nichts sehnlicher, als der Vater von Christinas Kind werden zu dürfen. –
Wir werden dieses Kind nicht mehr bekommen können,... weil ich ... weil ich dazu
nicht mehr in der Lage bin. Wir hatten leider nicht das Glück uns als jüngere
Menschen kennen zu lernen. Das erfüllt mich mit einem tiefen Kummer,... so als
wenn mir jemand dieses Baby gestohlen hätte.“
Christina starrte mit gesenktem Kopf auf den Tisch. Ihr
standen die Tränen in den Augen. Er hatte ihr soeben die großartigste und
ehrlichste Liebeserklärung gemacht und zum ersten Mal seine abgrundtiefe Trauer
über den Verlust dieses Babys ausgesprochen. Bisher hatte sie immer nur erahnen
können, was in ihm vorging. Seit eben war das alles anders. Sie hatte gewusst,
wie sehr ihm diese Sache an die Nieren ging, wie ausnehmend weh ihm das tat.
Aber in diesem Ausmaß?
Sylvia saß mit gesenktem Kopf da und weinte leise vor sich
hin. „Frau Hofmüller, schauen Sie mich bitte an!“, forderte Marc sie mitleidlos
auf. Er hatte seine Emotionen wieder vollkommen unter Kontrolle und seine
Lautstärke vernehmbar gesteigert. „Ich möchte, dass Sie mir in die Augen sehen,
wenn ich Ihnen das hier sage!“
Sylvia gehorchte, hob zögerlich den Blick und schaute Marc
mit großen, verängstigten Augen an. „Sie haben nicht nur mich zum Krüppel
gemacht, nicht nur unser Leben zerstört! – Sie haben unser Baby getötet!“ Marc
blickte Sylvia eindringlich und mit stahlgrauen Augen ins Gesicht, bis sie
seinem Blick nicht mehr standhalten konnte. Sie spielte mit ihrem Taschentuch
in ihren Händen. „Es tut mir leid! Es tut mir alles so leid! Ich weiß heute
doch, dass ich mich in die ganze Sache verrannt hatte! Ich habe dich aber nicht
aus meinem Kopf bekommen! Heute weiß ich, dass ich dich niemals bekommen hätte.
Ich habe einen großen Fehler gemacht. Ich war nicht mehr Herr meine Sinne! –
Marc! Bitte, du darfst mich nicht hassen! Wenn ich es nur könnte, ich würde es
wieder rückgängig machen! – Frau Stevens! Ich schäme mich so sehr. Bitte
verzeihen Sie mir!“
Sylvia sah Christina selbstquälerisch an. Was verlangte
diese Frau bloß von ihr? Wenn ihr Plan aufgegangen wäre, würde sie jetzt nicht
mehr leben. „Das kann ich nicht, Frau Hofmüller. Hier und heute kann und will
ich Ihnen nicht verzeihen.“ Christina schaute fragend zu Marc hinüber. Er
sprach für sie weiter. „Sie müssen mit Ihrer Schuld weiterleben. Wir können
Ihnen diese Last nicht nehmen. Sie können von uns kein Verständnis für Ihre Tat
erwarten. Ich glaube, da wären wir die
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