Ein Macho auf Abwegen
Letzten, die sie verstehen können.“
„Du hasst mich also doch“, sagte Sylvia mutlos. „Was
erwarten Sie eigentlich von mir? – Komm, Christina! Ich denke, es ist alles
gesagt.“ Grußlos verließ er den Besucherraum.
Im Wagen fragte Christina ihn: „Wie geht es dir, cariño?“ Er
zuckte nur mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Ich bin irgendwie ganz
durcheinander. – Und dir, wie geht es dir?“
„Ich bin mir nicht im Klaren, was ich denken soll. Den Sinn
eines solchen Täter-Opfer-Ausgleichs verstehe ich immer noch nicht.“ Marc
nickte. „Ja, ich hatte eigentlich auch gehofft, dass mich dieses Gespräch
irgendwie erleichtern könnte. Aber, ich fühle mich absolut Scheiße!“
Beim Abendessen kam Christina noch einmal auf das Thema.
„Weißt du, Marc? Wenn diese Sylvia jetzt dick und unansehnlich wäre, hätte sie
von dir träumen können, bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. Aber sie hätte gewusst,
dass sie nie und nimmer eine Chance bei dir gehabt hätte. Das Fatale an der
ganzen Sache ist doch, dass sie ausgesprochen hübsch ist. Sie ist eine
Naturschönheit! Hast du das gesehen? Ihre Schönheit ist ihr zum Verhängnis
geworden. So attraktiv wie sie ist, hätte doch durchaus die Möglichkeit
bestanden, dass du auch noch ein zweites Mal hinsiehst, oder nicht?“
„Ja, vielleicht, wenn Sie mir privat über den Weg gelaufen
wäre, in der Disko oder sonst irgendwo. Aber ich gehe doch nicht daher und
suche mir aus meinem Publikum jemanden aus. Das habe ich noch nie getan!“
„Das konnte Sylvia aber nicht wissen, Marc! Denke mal an die
ganzen Schlagzeilen über dich und deine gesammelten Weibergeschichten. Sie
musste doch den Eindruck bekommen, dich ziemlich leicht erobern zu können.“
Marc griente verlegen über den Esstisch. „Da kannst du Recht haben. Dabei hätte
sie sicherlich einen hübschen jungen Mann gefunden, für den sie ihren
schlagenden Ehemann hätte verlassen können.“
„Ja, bestimmt. Aber da hast du immer dazwischen gestanden.
Sie hat, denke ich, einfach den Punkt nicht wahrgenommen, an dem es bei ihr
krankhaft wurde.“ Marc stimmte ihr zu. „Ja, sie ist krank, richtig krank! –
Meinst du, die anderen Frauen lassen sie in Ruhe?“
„Beunruhigt dich das?“
„Ja, natürlich! Ich will doch nicht der Auslöser für
Gewalttaten sein.“
„Hör zu, Marc! Diese Frauen da sind auf das Äußerste
aggressiv. Einige von denen hast du mächtig beeindruckt, sie waren zutiefst
geschockt über deinen Zustand. Im Gefängnis herrschen andere Gesetze. Dort gilt
nur das Recht des Stärkeren, und Sylvia wird mit Sicherheit ihre Abreibung
bekommen. Das muss nicht heute sein. Vielleicht wenn sie mal Langeweile haben,
fällt ihnen die liebe Sylvia wieder ein, die ihren Superstar über den Haufen
geschossen hat. Sie werden etwas tun. So ist das nun einmal!“
Marc wunderte sich über Christinas offensichtliche Abgeklärtheit.
„Was werden die mit ihr machen?“ Christina zuckte beiläufig mit den Achseln.
„Och, sie könnten sie im Waschraum überraschen und mit einem Stück Seife, was
man vorher in ein nasses Handtuch gewickelt hat, grün und blau schlagen. Ganz
besonders beliebt ist das Unterducken in der Badewanne. Das wird solange
gemacht, bis diejenige beinahe erstickt. Oder sie werden sie in der Kloschüssel
halb ertränken. Höllenqualen sind das, kann ich dir sagen! Man kann ja niemals
einschätzen, ob sie den richtigen Zeitpunkt finden, um ihr Spielchen
rechtzeitig zu beenden. Manchmal ist es nur der alles entscheidende Bruchteil
einer Sekunde, und es ist zu spät.“
Christina hatte ohne jede Betonung gesprochen. Sie war
eiskalt, ohne irgendeine erkennbare Gefühlsregung im Gesicht oder in ihrer
Stimme. Marc starrte seine Frau mit großen Augen an. Er war entsetzt und
sprachlos. Sie hatte ihm diese widerlichen Dinge im gleichen Tonfall gesagt als
wenn sie ihm davon erzählte, wen sie heute beim Einkaufen getroffen hatte. Er
kannte Christina nur als absoluten Gefühlsmenschen, durch und durch sensibel.
Damals, als sie angefangen hatte für ihn zu arbeiten, konnte sie eiskalt sein,
aber das hatte sie nur zu ihrem Schutz getan. Sie wollte sich lediglich vor
Annäherungsversuchen schützen.
„Was hast du denn, Marc?“, fragte Christina. „Du hast mir
das alles gerade ohne irgendeine Empfindung erzählt, als hättest du dein Herz
ausgeschaltet. – Du warst mir gerade zum ersten Mal in meinem Leben vollkommen
fremd, Christina!“
Sie verstand die Welt nicht mehr.
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