Ein Macho auf Abwegen
Was meinte er bloß? „Marc,
du wolltest etwas von mir wissen, und ich habe dir gesagt, was ich weiß! Was
willst du eigentlich von mir?“ Er schüttelte ungläubig den Kopf. „Weißt du,
wenn ich mir vorstelle, dass man mit ihr, vielleicht genau in diesem Moment, so
etwas anstellt, wird es mir ganz schlecht, und dir scheint das gar nichts
auszumachen.“
„Ach“, winkte Christina beschwichtigend ab. „Da mach’ dir
mal keine allzu großen Sorgen, keine Angst! Die haben Erfahrung mit solchen
Dingen. So schnell bringen die keinen um!“
Marc schlug vollkommen außer sich mit der Faust auf den
Tisch, so dass die Gläser in die Luft sprangen. „Christina!“, brüllte er. „Was
soll das? Möchtest du etwa, dass diese Frau gequält wird? – Rache? Ist es das,
was du willst? Meinst du, ich kann dann wieder aufstehen und loslaufen, wenn
sie ihren Kopf nur tief genug in die Kloschüssel stecken?! – Ich fasse es
nicht!“
Christina konnte seine Aufregung nicht im Geringsten
nachvollziehen. „Im Knast geht es eben anders zu. So etwas gehört dort zum
Alltag. Die brauchen noch nicht mal einen Grund für ihre Gewaltausbrüche. Da
genügt ein falsches Wort, ein falscher Blick, und du bist reif! Dort gibt es
nur schwarz oder weiß. Es interessiert niemanden, ob Sylvia krank ist oder voll
zurechnungsfähig. Diese Frauen haben dich heute gesehen, und einige mögen dich
halt sehr. Du brauchst wegen Sylvia kein schlechtes Gewissen zu haben. Und mit
Rache hat das gar nichts zu tun, Marc! Für sie wird es heute nicht das erste
Mal sein. Solche Sachen passieren dort täglich. Jeden gottverdammten Tag!“
Marc schaute sie nur enttäuscht an und verließ kommentarlos
die Küche. Christina hatte verstanden. Er war der Meinung, dass sie sich eine
Sonderbehandlung für Sylvia förmlich herbeiwünschte. Ja, vielleicht tat sie
das, aber im Grunde war es ihr schlicht und ergreifend egal, was mit Sylvia
passierte. Insgeheim zweifelte sie sehr daran, dass diese Irre ihre gerechte
Strafe bekam. Womöglich würde ihr Unzurechnungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt
bescheinigt. Dieser Psychologe hatte doch alles getan, um sie dahin zu bringen,
sich einsichtig zu zeigen, bis sie ganz am Ende endlich bereit gewesen war,
sich für ihre Tat zu entschuldigen. Aber wirklich eingesehen hatte sie es
nicht. Das einzige, was Sylvia leid getan hatte, war doch die Tatsache, dass
versehentlich ihr „Dreamlover“ getroffen wurde. Da war Christina sich sehr
sicher. Und ihr eigener Ehemann, der am meisten Betroffene, hatte nichts Besseres
zu tun, als sich die allergrößten Sorgen um das Wohl und die Unversehrtheit
seiner Attentäterin zu machen. Das machte sie beinahe rasend. „Ich glaub’, ich
spinne!“, rief sie Marc hinterher. „Ay, cojones! Tu no sabes
nada de la vida, mi corazón!“
Sie hörte Marc aus der Ferne zornig rufen: „Was sagst du?
Ich verstehe dich nicht, Christina!“ Sie schäumte vor Wut und brüllte noch
einen Ton lauter. „Du hast keine Ahnung, überhaupt keinen blassen Schimmer wie
es außerhalb deiner Promiwelt so zugeht, Superstar! Gar nichts weißt du!“ Sie
knallte die Küchentür hinter ihm zu. „Mierda! Verdammte Scheiße!“
Er lag im stockdunklen Wohnzimmer auf dem Sofa und starrte
mit leerem Blick an die Zimmerdecke. Christina setzte sich zu ihm und schaltete
das Licht an. „Hey“, sagte sie leise. „Hey“, flüsterte er. „Marc, ich bin nicht
auf Rache aus, glaube mir das bitte! Ich wünsche niemandem Todesängste
ausstehen zu müssen, auch nicht Sylvia Hofmüller. Ich wollte dir doch nur
erklären, wie es im Gefängnis zugeht.“ Er sah Christina durchdringend an.
„Christina, hat man mit dir auch solche Sachen gemacht? Bist du auch gequält
worden?“ Sie antwortete leise. „Ja, natürlich. Ich kenne alle
Behandlungsmöglichkeiten.“
„Deshalb ist das für dich nichts Außergewöhnliches.“
Christina nickte wortlos. Er zog sie zu sich herunter. „Komm’ her!“ Er nahm sie
in die Arme und drückte sie fest an sich. „Was weiß ich denn noch alles nicht
von dir?“
„Jetzt weißt du restlos alles.“ Sie blieben eine ganze Weile
so liegen, bis Christina mit dem Thema begann, was ihr seit heute Nachmittag
nicht mehr aus dem Kopf ging.
„Marc, du hast mir aber auch etwas nicht gesagt.“
„Was meinst du damit?“
„Ich habe bis vorhin nicht gewusst, wie sehr dich die Sache
mit dem Kind im Moment belastet. Ich meine, ich habe es insgeheim geahnt, aber
du hast es mir nie
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