Ein Macho auf Abwegen
fabelhafte
Outfit ließ ihn außergewöhnlich attraktiv und gewissermaßen erwachsen wirken.
Stevens ließ seine Blicke auf der Suche nach geeigneten
Gesprächspartnern umherschweifen.
Peter Henning, der Boss des Konzerns, ging ihm entgegen, um
seinen Protagonisten gebührend zu empfangen.
Marc Stevens Eintreffen läutete dann auch den ersten
Programmpunkt des festlichen Abends ein. Henning stieg auf die Bühne, und alle
nahmen an den großen Tischen Platz. Marc ging an den Nebentisch der
Schreibbüromädchen, der für die Geschäftsleitung reserviert war. Bevor er sich
genau gegenüber von Gaby und Christina hinsetzte, begrüßte er die Frauen mit
einem leichten Kopfnicken. Stevens hatte eigentlich meistens ein Lächeln auf
den Lippen, doch er verzog bei seinem Gruß keinen Mundwinkel. Ihm muss irgendeine
Laus über die Leber gelaufen sein, interpretierte Christina seine Miene.
Vielleicht hat er sich mit seiner Moni gestritten. Sie nickte stumm zurück und
konnte Gaby gerade noch davon abhalten, ihm wie eine Irre zu zuwinken. „Reiß’
dich jetzt einmal ein bisschen zusammen, Gaby! So wird das doch nichts!“,
zischte Christina nach rechts.
Henning hielt die übliche Rede zu solchen Anlässen. Er
analysierte das abgelaufene Geschäftsjahr, erwähnte nicht nur einmal Marc
Stevens, den wiederum erfolgreichsten Vertragspartner des Verlages. Als er sich
zum Abschluss seines auswendig gelernten Vortrages bei den Angestellten für
ihren Einsatz im abgelaufenen Geschäftsjahr bedankt hatte, genoss er noch kurz
den Applaus und nahm neben Stevens Platz. Danach wurde mit dem Servieren des
ersten Ganges begonnen.
Gaby bemühte sich immerhin einigermaßen gelassen zu bleiben.
Christina hingegen ertappte sich immer wieder selbst, wie sie ihren Chef
beobachtete. Dieser Mann war nicht nur ein attraktiver Superstar, sondern Marc
Stevens war das, was Christina als einen schönen Mann bezeichnete. Es gab
hübsche Männer, und es gab schöne Männer. Für Christina war das ein großer
Unterschied. Und gerade eben war ihr bewusst geworden, dass Stevens zu den
wenigen schönen Männern zählte. Was machte den Unterschied aus? Wann war ein
Mann schön? Eigentlich konnte Stevens es doch gar nicht sein. Männliche
Schönheit kam von innen, und Stevens hatte bekanntermaßen einen eindeutigen
Scheißcharakter. Er war erfolgsorientiert, flatterhaft und zweifellos
penisgesteuert. Er liebte die Frauen nicht, er benutzte sie, um seine
ureigensten Bedürfnisse zu befriedigen und warf sie dann weg wie Abfall.
„Hey, Christina! Hallo? Machst du noch mit?“, holte Gaby sie
aus ihren tiefsten Gedanken. „Vor lauter Geistesabwesenheit, bemerkst du gar
nicht, wie Stevens immer zu mir herüberschaut“, flüsterte die Kleine ihr ins
Ohr. „Na, das hört sich ja erfolgversprechend an“, sagte Christina. „Lass es
einfach auf dich zukommen, Kleines!“
Sie spann ihre Gedanken weiter. Ángel war auch ein schöner
Mann gewesen. Aber warum? Ganz klar – Bis zu seinem Comingout als brutaler
Vergewaltiger, hatte er Herzenswärme in seinen Augen. Er konnte so Vieles
sagen, ohne es auszusprechen: Komm zu mir, du kannst mir vertrauen, ich
beschütze dich, ich kann lieben! Ich nehme dich in meine starken Arme, und dir
wird nichts passieren! Du kannst mir dein Leben anvertrauen. In seinen Augen
stand „absolute Zuverlässigkeit“ geschrieben. Ángel war nicht nur äußerlich
schön. Es war seine positive Seelenlage, die ihn so begehrenswert gemacht
hatte. Ihr Sohn Manuel war jetzt noch ein hübscher junger Mann, aber in ein
paar Jahren würde er auch zu den Schönen gehören. Da war Christina sich ganz
sicher. Der Möbelverkäufer, der ihr die neue Wohnungseinrichtung verkauft
hatte, zählte auch zu diesem kleinen, exklusiven Kreis, obwohl er nicht der
Allerhübscheste war. Es hatte gar nichts damit zu tun, ob jemand besonders
erfolgreich oder gar prominent war. Ángel, Manuel, der Verkäufer aus dem
Möbelhaus und natürlich auch Marc Stevens wären auch als Müllmänner schön
gewesen! Es waren in allen Fällen ihre Augen, welche ihre Schönheit ausmachten.
Sie schaute wieder zu ihrem Chef hinüber. Er unterhielt sich
angeregt mit seinen Tischnachbarn, und Christina dachte: Und es sind nicht nur
die Augen – Es ist auch seine Stimme, sein Haar, sein Mund, jede einzelne
kleine Falte ... und sein Nacken ... und sein breites Kreuz ... Was soll das,
Christina?, rief sie sich selber zur Ordnung. Hat Gaby dich mit ihrer
Schwärmerei jetzt
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