Ein Macho auf Abwegen
aus. „Und Sie? Haben Sie auch eine
traurige Geschichte zu erzählen?“, fragte er leise.
Schon wieder! Hatten sie dieses Thema heute nicht schon
einmal? – Durchschaut! Er hatte ihr ihre gespielte Gleichgültigkeit nicht
abgenommen. Sie war für ihn wohl wie ein aufgeschlagenes Buch. Der Kerl war
dermaßen sensibel, und er spürte, dass sie anders war. Was sollte sie bloß
antworten, ohne zu lügen? Ließ er sich noch einmal so einfach abfertigen?
Marc sah ihr an, wie verwirrt sie war. Sie schaute wie ein
gehetztes Tier, fast schon panisch aus ihren Augen. Er wartete geduldig, bis
sie sich wieder einigermaßen gesammelt hatte, ließ seinen Blick aber nicht von
ihr. „Wissen Sie, Herr Stevens. Ein jeder hat doch seine Lebensplanung und
Träume, die in Erfüllung gehen sollen. Für die wenigsten verläuft das Leben so
wie man es sich wünscht.“
„Sind Ihre Pläne denn in Erfüllung gegangen?“, fragte er
vorsichtig weiter.
„Erst ja, später dann nicht mehr“, antwortete Christina und
drückte ihm sein Schinkenbrot in die Hand. „Und Ihre Träume, Frau Klasen? Was
war Ihr Lebenstraum?“ Christina lächelte. Diese Frage konnte sie ganz simpel
und im Allgemeinen beantworten. „Mein Traum? – Na, was jedes junge Mädchen
träumt! Ich wollte einen schönen, starken Prinzen, der mich auf seinem
pechschwarzen Rappen auf sein Schloss mitnimmt und zu seiner Prinzessin macht.
Wie bei Dornröschen halt!“ Sie biss von ihrem Brot ab. „Haben Sie den
Traumprinzen gefunden?“, fragte Stevens. Sie lachte. „Träume sind Schäume, Herr
Stevens! Irgendwann zerplatzen die Seifenblasen. Pling! – In der Realität gibt
es keine edlen Prinzen. Die Erfahrung macht jede junge Frau, wenn sie erwachsen
geworden ist. – Und was haben Sie als kleiner Junge geträumt? Sind Ihre Träume
auch Schäume geworden?“
Er musste einen Moment nachdenken. Hatte er eigentlich
jemals mit einer Frau über seine ureigensten Träume und Wünsche geredet? –
Nein, noch nicht einmal mit Babsie.
„Also, größtenteils sind sie wahr geworden. Ich wollte
bereits als kleiner Junge immer nur singen und träumte davon, auf einer Bühne
zu stehen. In meinen Träumen hörte ich schon die Leute applaudieren. Ich wollte
berühmt sein und natürlich tolle Sportwagen fahren.“
Christina hielt ihm das nächste Brot hin. „Hier! – Dann
haben Sie ja alles erreicht, was Sie wollten. Was will man mehr? – Und jetzt,
wo alle Ihre Träume wahr geworden sind ... was erwarten Sie denn noch vom
Leben?“
Ja, was erwartete er eigentlich von seinem Leben? Hatte er
noch Wünsche, hatte er noch Träume? Sollte alles so weitergehen wie bisher?
Arbeiten, bewundert werden, erfolgreich sein? Diskos, Frauen, heiße
Liebesnächte? In diesem Augenblick war ihm gar nicht so danach. Er antwortete:
„Viele tausend solcher Momente wie jetzt gerade. Gemütlich, mit einem
Schinkenbrot auf eine Mauer, inmitten von Pennbrüdern sitzen, und keiner stört,
niemand will ein Autogramm, und nicht einer starrt mich an. Das wünsche ich
mir“, sagte er und stellte gleich die Gegenfrage. „Und Sie? Was erhoffen Sie
sich?“ Christina wusste sehr wohl, was sie sich wünschte. „Ruhe! Ich möchte
einfach nur meine Ruhe!“
Nachdem nun alle Songs zu Stevens Zufriedenheit aufgenommen
worden waren, sollte die erfolgreiche Zusammenarbeit gebührend gefeiert werden.
Stevens lud die drei Sänger mit ihrem Manager für den Abend zum Essen ein.
Natürlich sollte Christina auch mitgehen.
Sie aßen fürstlich in einem rustikalen Restaurant direkt an
den Ramblas. Christina wurde als Letzte mit ihrem Teller fertig, da sie die meiste
Zeit übersetzen musste. Die Fachleute der Musikbranche tauschten rege ihre
Erfahrungen aus. Später mutierte die Unterhaltung in ein lockeres
Männergespräch, dessen Themen nicht immer für Frauenohren geeignet waren. Es
war eine laue Sommernacht, und Stevens hatte einen köstlichen und süffigen Wein
zum Essen ausgesucht. Christina bemerkte, wie ihr langsam die Zunge schwer
wurde. Sie hatte sich den ganzen Abend lang ihren ausgetrockneten Hals mit
nichts anderem als Wein befeuchtet. Vorsichtshalber bestellte sie sich
Mineralwasser und einen doppelten, extra starken Espresso, und ließ die Finger
vom Alkohol. Sie wollte einen klaren Kopf behalten, alleine unter fünf Männern.
Die Herren dagegen waren inzwischen in richtiger Partylaune. Juan, der Manager,
schlug noch einen Abstecher in eine typisch spanische Bar vor. Ohne Christinas
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