Ein Macho auf Abwegen
vorm Fernseher hocken! Dat kann et doch nich sein,
Marc!“
Christina hatte ja schon genügend Anekdoten über ihren Chef
gehört. Jetzt war es allerdings das erste Mal, dass sie schwarz auf weiß eine
seiner geschmacklosen Episoden mitbekam. Sie war schockiert, zutiefst getroffen,
auch maßlos enttäuscht, als sie den Artikel gelesen hatte. Sie wusste nicht, ob
sie schreien, lachen oder heulen sollte. Wo war der intelligente und
einfühlsame Mann, der sich in Barcelona so taktvoll benommen hatte? Das konnte
doch nicht der gleiche Mensch sein wie der, der sich schamlos über junge
Mädchen hermachte. Du liebe Zeit! Auf einer Toilette! Stevens war fünfzig Jahre
alt und das Mädchen gerade einmal der Pubertät entwachsen! Hatte er denn
überhaupt keine Moral? Hatte er das denn so nötig? Wahrscheinlich gehörte das
zu seinem Lebensplan dazu. Wie hatte er gesagt? „Ich wollte immer auf einer
Bühne stehen, Sportwagen fahren und berühmt sein.“ Und beim Berühmtsein ganz
speziell von Frauen bewundert werden, mit allem was dazu gehörte. Na ja! Wenn er
es braucht, dachte sie und legte die Zeitung beiseite.
Stevens hatte in der nächsten Zeit einige Aufnahmen im
Studio zu machen. „Frau Klasen, morgen werden wir bei mir zu Hause arbeiten“,
sagte er kurz vor Feierabend. „Bei Ihnen zu Hause? Was soll ich denn da?“,
entgegnete Christina ihm viel zu barsch. Stevens schüttelte ungläubig den Kopf.
Ihre Reaktion kam ihm vor, als wäre er Quasimodo persönlich und hätte sie
soeben zu einem Tete-a-tete in seinen Glockenturm zitiert. Er lächelte dennoch.
„Sie sollen dort Ihre Arbeit machen, wie gewöhnlich. Ich habe in meinem Haus
ein Büro, genauso ausgestattet wie hier im Verlag“, erklärte er ihr. „Tina hat
etliche Stunden mit mir im Studio verbracht“, fügte er zu ihrer Beruhigung
hinzu.
Und bei der Gelegenheit hast du ihr gleich noch ein Kind
gemacht, dachte Christina. Sie war bis heute noch absolut davon überzeugt, dass
Tina eine Liaison mit Stevens gehabt hatte. Sie suchte nach einem Vorwand, um
nicht mitkommen zu müssen. „Das ist bei mir aber ganz schlecht, Herr Stevens.
Ich habe leider keinen Wagen.“ Stevens merkte, wie sie sich sträubte und nahm
ihr den Wind aus den Segeln. „Das ist doch kein Thema. Ich hole Sie morgen früh
ab und bringe Sie selbstverständlich auch wieder nach Hause.“ An ihren Augen
konnte er ablesen, wie sie zunächst fieberhaft nach einem Ausweg suchte und
schließlich kein Gegenargument fand. Diese Augen konnten nichts, was in diesem
Kopf vor sich ging, vor ihm verbergen. Ihm waren bisher nur wenige Menschen
über den Weg gelaufen, deren Blicke Bände sprachen wie die von Frau Klasen. Er
grinste sie siegessicher an, und sie funkelte grantig zurück. „Also, wann soll
ich Sie abholen?“
Christina kapitulierte. „Halb acht wäre okay.“
„Ich werde pünktlich sein!“
Diese Runde ging ganz eindeutig an ihn. K.o.-Sieg Stevens in
der ersten Runde!
Christina stand mit einem sehr mulmigen Gefühl auf. Sollte
sie wirklich nur in seinem Haus arbeiten? Stevens war ihr nicht mehr geheuer.
Sie konnte ihn seit seinem Klo-Quicky nicht mehr richtig einschätzen. Er war
für sie wieder unberechenbar geworden, und sie hatte Angst vor seiner Nähe.
Unter der Dusche sprach sie sich selber Mut zu. Er hat dir
nichts getan! Denk’ an Barcelona! Er ist doch eigentlich ein angenehmer Mensch!
Das war er ja genaugenommen auch. Christina konnte, selbst wenn sie es wollte,
nichts gegen ihren Chef vorbringen. Aber er ist ein Mann! Alle Männer sind
penisgesteuert, und Marc Stevens ist das Musterbeispiel für diese Hypothese!
Sie stellte sich ihn in einem Museum ausgestellt vor. „Hier,
meine Damen und Herren, können wir ein exemplarisches Modell bestaunen, welches
sein Leben lang bewiesen hat, dass Männer ihr Gehirn in der Hose haben.“ Wer
weiß, wie sich der Rüde auf seinem Territorium benehmen würde? Das Abwägen der
Für und Wider nützte ihr im Moment aber rein gar nichts. In spätestens fünf
Minuten würde er sie abholen. Vielleicht wäre sie ja gar nicht mit ihm alleine?
Sicher wäre auch noch Personal im Haus. Eine türkische Putzfrau oder gar eine
Haushälterin. Oder vielleicht würde ja Moni ihre berühmten Spaghetti für sie
kochen?
Dass er sich extra die Mühe machte, vom Dorf in die Stadt zu
fahren, nur um sie abzuholen. Das war doch auch nicht normal, oder? Vielleicht
war da ja doch etwas faul? Auf jeden Fall würde sie schon einmal
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