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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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geflohen. Der Wahnsinn, in Sibirien zu flüchten, war Wahrheit geworden. Hauptmann Samsonow heulte vor Wut und Enttäuschung. Diese Flucht kam in seine Papiere. Er würde jetzt nie, nie Major werden.
    »Er kann nur im Wald sein, dieser Idiot!« brüllte er. »Bei den Turganows braucht ihr gar nicht zu suchen. Verliebte Männer und verliebte Füchse haben eins gemeinsam – sie sehen die Fallen nicht mehr! Wir haben noch zwei Tage Zeit. Um zehn Uhr geht der Transport und der Kerl ist dabei, sonst steckt ihr selbst im Straflager!«
    Am zweiten Tag fand man Martin Abels. Er lag in einer Schneehöhle und wärmte sich auf Jägerart an einem ausgehöhlten, glimmenden Baumstamm. Er leistete keinen Widerstand. Er hatte eingesehen, daß er nur ein Mensch war. Und was gilt ein Mensch auf dieser Welt!
    Anuschka war in Schigansk, als der Transport auf vier großen Lastwagen aus dem Sammellager rollte. Pawel Andrejewitsch hatte sie hingebracht, mit einem Schlitten und zwei Pferdchen. Geduldig hatten sie vier Stunden im Schnee vor dem großen Tor gewartet, bis die vier dunklen Wagen herausbrummten. Da war Anuschka aus dem Schlitten gesprungen und neben dem Wagen hergerannt, in dem sie Martin Abels erkannte. Eine zwischen fünfzig anderen Plennys eingekeilte, dunkle Gestalt, die mühsam den Arm hochschob und über die Köpfe der anderen hinweg winkte.
    »Komm wieder!« rief Anuschka und rannte und rannte. Die dicken Räder des Wagens bewarfen sie mit Schnee, sie schluckte Matsch und Eisstückchen, Straßendreck und veröltes Wasser. Was machte das schon. Sie lief hinter dem Wagen her und winkte mit beiden Armen und sah ihn an, wie er auf sie herunterschaute, mit wunden Augen wie ein verletztes Tier. »Komm wieder!« schrie sie. »Ich liebe dich … ich liebe dich …«
    Dann stolperte sie, fiel in den Schnee und blieb erschöpft liegen, während der Wagen in einer Woge von Schneewirbeln unterging.
    In seinem Schlitten saß Pawel Andrejewitsch und heulte wie ein hungriger Wolf. Ihm brach fast das Herz, denn welcher Vater leidet nicht mit seiner Tochter?
    Es war der 27. September 1955.
    Vor acht Jahren.
    Aber der Schrei Anuschkas: »Ich liebe dich!« verklang nie.
    *
    »Das ist alles ganz schön und gut«, sagte Ludwig Petermann, der Anwalt. Er kehrte als erster aus dem Bann der Erinnerung zurück, er war gewohnt, nüchtern zu denken. »Aber jetzt bist du hier. In Bremen. Und Anuschka, wenn sie noch lebt, sitzt in ihrer Blockhütte, Tausende von Kilometern entfernt.«
    »Ich werde zu ihr hinfahren«, antwortete Martin Abels fest. »In drei Wochen.«
    »Verrückt!« Heinz Fernholz, der Metzgermeister, schneuzte sich. Irgendwie hatte die Geschichte Anuschkas seine Seele doch ergriffen. »Als wenn du so einfach mit dem Flugzeug oder mit der Bahn nach Sibirien könntest. Ist ja auch nur ein Spaziergang, was?«
    »Ich habe bereits einen Antrag über die sowjetische Botschaft laufen.«
    »Und was sagen die Genossen in Rolandseck am Rhein?«
    »Noch nichts. Ich fahre übermorgen hin.«
    »Und wenn sie in ihrer schlichten, aber deutlichen Art ›njet‹ sagen?«
    »Das werden sie nicht. Es hat sich in diesen acht Jahren vieles geändert. Man ist menschlicher geworden.«
    »Aber ein Deutscher bleibst du trotzdem! Ich halte es für eine Utopie.« Ludwig Petermann bestellte noch eine Runde Wein und stieß mit den anderen an. »Martin, in aller Freundschaft: Nimm einen großen Rosenstrauß, zieh deinen blauen Anzug an und geh zu Holgerson. Das ist der Rat eines guten Freundes. Und daß Inken dich wirklich liebt, wissen wir alle. Die kleine Anuschka wird von den acht Jahren verschlungen sein.«
    »Hast du ihr denn überhaupt mal geschrieben?« fragte Heinz Fernholz plötzlich.
    »Ja. Vierzehnmal.«
    »Und Antwort?«
    »Keine.«
    »Und trotzdem …?« fragte Petermann leise.
    »Trotzdem! Vielleicht bin ich wirklich wahnsinnig …«
    Drei Tage später saß er einem der Botschaftssekretäre der sowjetischen Botschaft gegenüber. Er sah auf dem Schreibtisch einen Schnellhefter, in dem sein Name in kyrillischer Schrift mit Tusche gemalt war. Die Unterhaltung fand in russischer Sprache statt.
    »Herr Abels«, sagte der Sekretär und lächelte verbindlich, »wir haben Ihren Antrag befürwortend nach Moskau geschickt. Der Herr Botschafter hat ein großes Mitgefühl bekundet. Aber Moskau –« er hob die Schultern – »richtet sich nicht nach den Gefühlen des einzelnen, sondern hat einen weiteren Blick als wir.«
    »Also abgelehnt?« fragte Abels

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