Ein Mädchen aus Torusk
Erholungsstätte. Wer zu Samsonow versetzt wurde, zog ab wie zu einer Sommerfrische, beneidet von den Zurückbleibenden. Natürlich sprach sich so etwas herum. Hauptmann Samsonow wurde angemeckert, zuerst von seinem Major, dann von seinem Oberst, schließlich vom Kriegsgefangenen-Distriktkommissariat in Jakutsk, das ihm Weichheit und Schlappheit vorwarf. Und Jossif Nikolajewitsch Samsonow hatte immer geantwortet: »Ich habe mein Bein fürs Vaterland gelassen. Ich bin Träger dreier Tapferkeitsmedaillen. Genosse Generalissimus Stalin hat mir selbst die Hand gedrückt. Wenn ihr meint, Genossen, ich sei zu schlapp, so meldet das nach Moskau.« Das tat man nicht, aus Angst, sich zu blamieren. Man drückte beide Augen zu und ließ Samsonow im Lager Torusk unbeschränkt herrschen.
Und in Torusk blieb er auch, als die letzten Gefangenen abtransportiert waren. Er kaufte sich ein Haus in dem Dorf, bezog eine Staatspension, groß genug, um nicht vor Hunger zu schreien (woran man sieht, daß sich in diesem Punkt Ost und West wie Zwillinge gleichen, wenn's um den Dank des Vaterlandes geht!), machte einen Kleiderhandel auf und versorgte als Unterhändler Unjeskis, der das Monopol hatte, die Jäger im Winter und die Nomaden im Sommer mit Unterhosen und Socken. Seine größte, eine geradezu zivilisatorische Tat war es, daß er in Torusk den Büstenhalter einführte. O Freunde, das war eine Revolution wie im Oktober 1917. Aufgrund seiner Freundschaft mit Turganow war's ausgerechnet die dralle Olga, die den ersten Büstenhalter in Torusk herumtrug. Was früher Masse war, war nun gebändigt und geformt zu zwei runden, abstehenden, prallen, harten, fast unter dem Kinn beginnenden Hügeln, auf die der witzige Pawel Andrejewitsch zur Demonstration eine Wodkaflasche stellte und rief: »Seht! Sie fällt nicht herunter!«
Der Erfolg war durchschlagend. Hauptmann a.D. Samsonow machte das Geschäft seines Lebens mit Büstenhaltern – von der zarten Größe 2 bis zu Dimensionen, die die Haltbarkeit und Güte des verarbeiteten Stoffes unter Beweis stellten. Im weiten Umkreis wurde Samsonow bekannt unter dem Namen ›Jossif, die Brust‹, was ihm zwar mißfiel, aber sein Geschäft ankurbelte. Es sprach sich rum von Jäger zu Jäger: »Genossen, geht nach Torusk. Dort haben die Weiber so stramme Brüste, daß selbst die Flöhe ausrutschen wie auf Glatteis.«
Warten wir es ab, Freunde. Vielleicht setzt man Samsonow in Torusk noch einmal ein Denkmal. Viel unwichtigere Personen haben schon einen Gedenkstein bekommen.
Bis spät in die Nacht hinein wurde erzählt und gelacht, wurden Erinnerungen wach und kam es zu stillem Gedenken. Dann schwankte Hauptmann Samsonow nach Hause, Olga räumte den Tisch auf, Anuschka schlief halb an der Schulter Abels', und Turganow, das glückliche Väterchen, sah die bitterste Stunde seines Lebens auf sich zukommen, nämlich die große Frage: Wie schläft man jetzt?
Freunde, man ist Mensch, nicht wahr? Man versteht, daß es unmöglich ist, ein Weibchen, das acht Jahre lang auf diese Stunde des Wiedersehens gewartet hat, von dem Geliebten zu trennen, nur weil es unschicklich ist und der Pope und der Kommissar noch nicht gesagt haben: Nun seid ihr Mann und Frau. Acht lange Jahre Sehnsucht nach einer Umarmung, und nun darf's nicht sein? Wer kann verantworten, zu sagen: Auseinander! Du schläfst auf dem Ofen und du im Stall!
Pawel Andrejewitsch, das Väterchen, seufzte und sah seine Olga hilfesuchend an. Aber auch Olga seufzte in die Töpfe hinein, scheuerte die Pfanne und wußte nicht, was man tun sollte. Es ist eine merkwürdige Situation, wenn Eltern im voraus wissen, was gleich mit ihrer Tochter geschehen wird, und man es nicht ändern kann, weil man eben Mensch ist und weiß, wie schön die Liebe ist und wie nötig zum glücklichen Leben, zum roten Bäckchen und zum strahlenden Blick. O joij, wie schwer wird ein Vaterherz bei solchen Gedanken.
Pawel Andrejewitsch löste das Problem auf eigene Art. Er knuffte seiner Olga in das Hinterteil, nickte zum Stall und ging aus der Stube. Olga folgte ihm, deckte die Flamme im Herd zu und sandte noch einen langen Blick auf die mit geschlossenen Augen träumende Anuschka. Dann schlug sie ein Kreuz, betete schnell für das Seelenheil des Mädchens und eilte Pawel nach, der schon im Stroh lag und an die Decke starrte.
»Es ist schwer, Vater einer Tochter zu sein, Olgaschka«, sagte er leise und mit schwankender Stimme. »Aber es ist gut, daß es Tinja ist. Wer mein
Weitere Kostenlose Bücher