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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Täubchen so liebt, darf es auch haben.«
    Dann lagen sie nebeneinander, die beiden Alten, Arm in Arm, als gingen sie liegend spazieren, und Olga sagte nach einer Weile der vollkommenen Stille:
    »Es wird schön sein, Pawel Andrejewitsch, wenn wieder ein Kindchen in der Wiege liegt.«
    Und Turganow nickte stumm. Sie war eben ein richtiges Mütterchen, seine Olgaschka.
    *
    In der Nacht, irgendwann einmal, ohne auf die Uhr zu sehen, wachte Martin Abels auf und beugte sich über Anuschka. Da sah er, daß sie die Augen offen hatte. Ihr warmer Körper zitterte leicht.
    »Ich bin so glücklich, Anuschka«, flüsterte er und legte seinen Kopf auf ihre kleine, feste Brust.
    »Es ist der Himmel, Tinja.«
    »Erinnerst du dich … das Schilf an der Lindja … ein Sommernachmittag war's …«
    »Es war gestern … gestern … Tinja …« Ihre Lippen saugten an seinen Ohren, sie wanderten über die Schläfen, die Stirn, die Nasenwurzel, die Augen, suchten seine Lippen und legten sich warm und weich auf seinen zuckenden Mund. Er erschauerte unter diesem Kuß, er fror und glühte zugleich vor Glück und Seligkeit und umfaßte den schlanken, biegsamen Leib, der sich ihm zudrängte, schlangengleich und glatt.
    »Tinja –«
    »Ja, Anuschka.«
    »Ich wußte, daß du wiederkommst –«
    »Ich weiß. Ich habe es immer gespürt.«
    »Ich wußte, daß du kommst und für immer bei mir bleibst.«
    Da schwieg er. Betroffen, voll plötzlichem Schuldgefühl, ihr noch nicht gesagt zu haben, daß er nicht in Torusk bleiben, sondern sie aus Sibirien weg in eine andere Welt holen wolle.
    »Tinja?«
    »Ja, Anuschka.«
    »Liebst du mich?«
    »Es gibt keine Worte mehr für diese Liebe.«
    »Wir sind jetzt ein Mensch, spürst du das? Ein Körper, eine Seele … der eine wird nicht mehr leben können ohne den anderen … man kann nicht mit einem halben Herzen leben, nicht wahr?«
    »Nein, das kann man nicht.«
    »Ich bin du und du bist ich.«
    »Ja, Anuschka –«
    So schliefen sie wieder ein, Haut an Haut, Lippe an Lippe, Herzschlag an Herzschlag.
    Draußen schneite es. Am Morgen würde sich der Schnee einen Meter hoch vor der Haustür türmen.
    Akja, der Wolfshund, lag vor dem Ofen, zusammengerollt, satt und zufrieden. Er hörte und roch seinen Herrn und er wußte, daß er nun noch eine Herrin bekommen hatte. Er legte die Schnauze auf die Vorderpfoten und starrte ins glimmende Feuer.
    Auch ein Hund fühlt, wie schön das Leben ist.
    *
    Alle Dinge haben zwei Seiten. Eine Münze, ein Pfannkuchen und auch der Mensch sieht hinten anders aus als vorn. Die Freude Pawel Andrejewitsch Turganows, die er durch Torusk getragen hatte und mit der er Hauptmann Samsonow, genannt ›Jossif, die Brust‹, alarmiert hatte, machte auch Leute aktiv, die eigentlich nichts Freundliches im Sinn hatten.
    Da gab es in Torusk einen Mann namens Nikolka Ippolitowitsch Litowka, den man den ›Roten‹ nannte, nicht weil er Fahnenträger bei den Komsomolzen gewesen war, sondern weil er brandrotes Haar hatte. Das ist eine Seltenheit in Sibirien. Keiner wußte, wie Nikolka an diese roten Ziegel kam. Seine Mutter Anna schwieg beharrlich darüber. Aber man munkelte, daß ein Soldat aus der Ukraine diesen Rotschopf hinterlassen hatte, als Manöverandenken. Genossen, man kennt ja die Soldaten. Aus dem kleinen Rotvögelchen war mittlerweile ein kräftiger Jäger Nikolka geworden, fünfunddreißig Jahre alt, mit krachenden Muskeln und wie ein Auerhahn in Anuschka verliebt.
    Es war eine unglückliche Liebe, man weiß das. Und so sehr Nikolka im Laufe der vergangenen Jahre Anuschka mit Geschenken verwöhnte – einmal brachte er sogar aus Jakutsk eine goldene Kette mit einem Anhänger aus geschliffenem Jade, die Anuschka aber nicht annahm und die Nikolka dann vor Wut in die Jauchegrube der Turganows warf, wo Olga sie nachts bei Petroleumschein wieder herausfischte –, nie war es weiter gekommen als bis zu einer Ohrfeige, die Nikolka sich einhandelte, als er Anuschka seine breite Hand auf die Brust legte.
    Nun war es bekanntgeworden: Anuschkas Freier war da. Das Rätsel, auf wen das schönste Vögelchen Torusks gewartet hatte, war gelöst. Auf einen ehemaligen deutschen Plenny. Ein Pfui über dieses volksvergessene Weibsstück.
    Nikolka Ippolitowitsch Litowka brüllte am nächsten Morgen nach der Ankunft Martin Abels' in der einzigen Wirtschaft von Torusk seine Wut und seine Enttäuschung gegen die Bohlenwände.
    »Ist das eine Art?« schrie er und soff Wodka aus einem Wasserglas. »Einen

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