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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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das Blut vom Gesicht wischte, klopfte er mit der Faust auf das Holz. »Mischa! Verdammter Halsabschneider! Mischa! Ich habe Durst! Ein Gläschen von deinem Teufelstrank bring her!«
    Der Wirt schoß aus dem Hinterzimmer hervor. Es ging schneller, als man erwartet hatte, dachte er. Sie bringen sich nicht um. Aber zu Ende ist's auch noch nicht, das ahnte er. So etwas schwelt weiter wie Glut in der Asche, und man braucht nur mit einem Stöckchen zu schüren, und hui, ist die helle Flamme da. Es würde noch unruhig werden in Torusk: einen langweiligen Winter gab's in diesem Jahr nicht.
    Turganow und der ›Rote‹ tranken ein Gläschen Wodka zusammen, dann gingen sie auseinander, jeder zu seinem Haus. Und Turganow wußte, daß man von jetzt an vorsichtig sein mußte.
    *
    Zwei Monate gingen so dahin.
    Was in ihnen geschah, ist kaum beachtenswert. Stunden, Tage und Wochen sind bei Verliebten immer gleich: man liebäugelt sich an, man geht umschlungen herum, man küßt und herzt sich, man redet dummes Zeug, träumt von der Zukunft und vergißt die Gegenwart, man findet die Welt herrlich und ist ohne Sorge.
    Das soll nicht heißen, daß im Hause Turganows nun das Leben stillstand. Im Gegenteil, Mütterchen Olga brachte auf den Tisch, was im Vorratslager sich stapelte. Pawel Andrejewitsch ging zur Jagd, und oft begleitete ihn Abels mit Akja, seinem Hund, der eine besondere Gabe hatte, wilde Rentiere aufzuspüren und sie auf die beiden schußbereiten Jäger hinzuhetzen. Anuschka aber begann, getreu einem alten Brauch, ihr Hochzeitskleid selbst zu nähen. Zu diesem Zweck hatte Pelzhändler Unjeski in Taragaisk (auch er kam eine Woche nach der Rückkehr Abels' nach Torusk, in einem feudalen, mit Fellen ausgelegten Schlitten, und umarmte den Deutschen wie seinen eigenen Sohn) vorgesorgt: Er ließ weiße Seide aus dem Süden kommen und weiße Spitzen und weißen Tüll, bunte Bänder und glitzernde Glasperlen. Nach einem eigenen Entwurf begann dann Anuschka das Kleid zu nähen … in einer kleinen Seitenkammer, in die sie sich einschloß. Ein Hochzeitskleid sieht der Bräutigam erst am Tag der Trauung, so war's der Brauch. Nur Olga half ab und zu, wenn Anuschka aus dem Tüll kleine Rosen drehte und sie auf den Schleier nähte.
    Das Glanzstück besorgte Hauptmann a.D. Samsonow, genannt ›Jossif, die Brust‹. Er ließ sich, in genauer Kenntnis der Obermaße Anuschkas, aus Jakutsk nicht einen Büstenhalter, sondern ein Korselett schicken, ein zartes Ding aus weißem, glänzendem Stoff mit breiten Spitzen, in denen die Brüste wie in einem Blumenkorb ruhten. Anuschka mußte es sofort anprobieren, und als sie zurückkam aus der Kammer, schlank, langbeinig, wohlgeformt, schlug Hauptmann Samsonow die Hände über dem Glatzkopf zusammen und schrie: »Wie gemeißelt! Wie gemeißelt! O Freunde, ist das eine Wonne!«
    Es war, wie gesagt, schon immer klar: Samsonow wirkte in Torusk zivilisatorisch.
    Und eines war sicher: Anuschka würde die schönste Braut sein zwischen Jenissej und Lena, zwischen Eismeer und Baikalsee.
    Pawel Andrejewitsch Turganow aber machte sich, als der Schneefall nachgelassen hatte und Ruhe in die Wälder einzog, mit seinem Schlitten und zwei Pferdchen auf, um den wichtigsten Gang seines Lebens zu gehen: Er fuhr nach Schigansk an der riesigen, zugefrorenen Lena. In Schigansk saß in einem Steinhaus Borja Grigorjewitsch Amganow, der Distriktsowjet und Gebietskommissar. Er war ein guter Bekannter Turganows. Man hatte vor zehn Jahren einmal einen Lehrgang zusammen besucht, auf dem man viel von der Planwirtschaft im Wald erzählte – aber der Mann, der darüber sprach, kam aus Ulan-Ude und hatte keine Ahnung. Später war dann Amganow in die Verwaltung gegangen, da er immer ein Beamtentyp gewesen war, so einer, wißt ihr, Freunde, der in den Verfügungen nachliest, wie lange ein Bediensteter sich auf dem Lokus aufhalten darf. Nun saß er in Schigansk, verwaltete einige tausend Quadratkilometer Urwald und Taiga, kontrollierte die verstreut in der Wildnis liegenden Faktoreien, staatlichen Pelzstationen und Holzschlaglager, ja, sogar zwei Straflager unterstanden ihm, mit je 4.000 Männern, die in der Taiga rodeten und Schmalspurbahnen durch den Urwald legten.
    Zwei Tage brauchte Turganow bis Schigansk. Erstarrt fast vor Frost, stampfte er in das Büro Amganows, nannte den Sekretär, der ihn im Vorzimmer aufhalten wollte, mit der Frage: »Sind Sie angemeldet, Genosse?«, einen triefäugigen Bettnässer, und betrat das Zimmer

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