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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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die einen guten Nachwuchs garantierten, prächtige Jäger und Fallensteller, ehrbare Kerle. Aber immer hatte Anuschka gesagt: »Nein, Väterchen. Ich warte. Tinja kommt wieder, ich weiß es genau.« Und Pawel hatte zuletzt gebrüllt: »Ein altes, runzeliges Weib wirst du werden! In der Ecke sitzen und Sonnenblumenkerne spucken, das wird dein Leben sein! O Himmel, womit habe ich solch eine Tochter verdient. Wartet auf einen Deutschen! Acht Jahre lang schon. Man sollte sich die Haare einzeln rausreißen vor Kummer. Kann so gut heiraten, kann ein Haus bekommen, tausend Rubel Mitgift, kann Kinderchen gebären, eins, zwei, drei, vier … und will nicht! Es ist zum Heulen!«
    Und nun war er da. Martin Abels, der deutsche Plenny. Kniete im Schnee neben dem Holzstapel und herzte Anuschka. Und beide weinten vor Freude und Glück und umklammerten sich, als wollten sie gemeinsam im schmelzenden Schnee ertrinken. Und Olga neben ihm schluchzte wie ein Schwein in der Kolik, und der Wolf war nur ein großer Hund, der schweifwedelnd neben Abels stand und ihm den Nacken leckte, als wolle er sagen: »Aufhören, mein Lieber: Ich bin auch noch da. Und da sind welche, die gucken zu und wollen auch was sagen …«
    Anuschka sah zur Seite, und ihr schmales Gesicht mit den breiten Backenknochen und den leuchtenden roten Lippen war ein einziger Strahl des Glücks. »Er ist gekommen!« rief sie, und sie hatte keine menschliche Stimme mehr. So singt eine Nachtigall, dachte Turganow, obgleich er noch nie eine Nachtigall gehört hatte. So jubelt eine Lerche bei der ersten Frühlingssonne. O Gott, mir wird es weich ums Herz, ich heule gleich. Daß doch der Mensch so voller Seele ist, verflucht ist das. Er lehnte sein Gewehr an die Tür, gab der noch immer heulenden Olga einen Stups in den Rücken und ging mit ausgebreiteten Armen auf Abels zu.
    »Willkommen, Tinja!« rief er schon beim Gehen. »Willkommen in Torusk … in deiner Heimat!«
    Und so war es wirklich. Es schien Abels, als sei er heimgekehrt.
    *
    Die größte Freude, das schönste Glück, die seligste Liebe sind nichts wert, wenn sie verhungern und verdursten müssen.
    Das ist keine sibirische Weisheit, sondern eine Alltagserfahrung. So wurden denn auch in den ersten Stunden nach der Rückkehr Martin Abels' Fleisch und Speck, Bohnen und Kraut, Würste und Schmalz, Brot und Kuchen aus dem Wintervorrat herbeigeholt, es wurde gebraten und gesotten, gekocht und gedämpft. Pawel entschloß sich, eine gehütete Flasche Krimwein aus einem Versteck zu holen, und Olga machte eine Pfanne voll Eierkuchen mit Speck.
    Anuschka half in dieser Stunde nicht. Sie saß neben Tinja auf der Holzbank, hielt seine Hände fest, sah ihn mit leuchtenden Augen an, lehnte das Köpfchen an seine breite Schulter und hatte keine anderen Worte und keine anderen Gedanken als nur das eine Wort: »Du! Du! Du!« Braucht man mehr, um glücklich zu sein? Die Welt schrumpft zusammen zu diesem einen Wort, denn in ihm ist alles, was sonst tausend Dichter in tausend Büchern zu sagen vermögen.
    Nach dem Essen und Trinken, bei dem Pawel Andrejewitsch soviel Hochrufe ausbrachte und danach das Glas bis zum Grund leertrinken mußte, bis er einen hellroten Kopf bekam und Äuglein wie ein jagender Falke, ging Turganow hinaus, um, wie er sagte, vor der Nacht noch seine Fallen nachzusehen. In Wahrheit lief er durchs Dorf und verkündete die freudige Heimkehr des Deutschen. Und eine Überraschung brachte er mit. Als er zurückkam, folgte ihm ein großer, dicker, auf einem steifen Bein hinkender Mann, der – als er die Pelzmütze abnahm – einen billardkugelblanken Glatzkopf enthüllte. Bevor Martin Abels etwas sagen konnte, brüllte der Mann schon von der Tür her:
    »Plenny 39.267 … es ist zum Kringelscheißen! … Wieso kommst du ohne Anmeldung hierher?«
    »Hauptmann Samsonow …«, sagte Abels gerührt. Er sprang auf und rannte dem ehemaligen Kommandanten des Waldlagers Torusk entgegen. Sie fielen sich in die Arme, sie umarmten sich, sie küßten sich auf beide Wangen und drückten sich an sich wie kämpfende Bären. »Jossif Nikolajewitsch, Sie haben sich nicht verändert. Sie sind der gleiche Schreihals geblieben.«
    Das Wiedersehen war beglückend. Samsonow war einer der wenigen Menschen gewesen, die auch in einem Kriegsgefangenen einen Bruder gesehen hatten. Einen Menschen, der nicht dazu geboren worden war, um in der Wildnis zu verrecken. Sein Waldlager Torusk galt im weiten Umkreis der Kriegsgefangenenlager als

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