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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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anständigen Kommunisten verschmäht sie, und einem Westler, einem Bourgeois, einem Kapitalistenhund, einem Ausbeuter der Arbeiterklasse wirft sie sich an den Hals, jawohl, ich sage es jedem: Ein Hürchen ist diese Anuschka. Nicht nur im Bett, auch in der Gesinnung. Sie verrät unseren Arbeiter- und Bauernstaat, sie tritt Sibirien mit Füßen, sie schläft mit der Despotie. Steinigen sollte man sie, die heiße Füchsin.«
    Der Wirt verhielt sich still, aber er schickte einen Burschen zu den Turganows, um ihnen von den aufrührerischen Reden des ›Roten‹ zu berichten. Pawel Andrejewitsch machte sich sofort, ohne Olga oder die glücklich Verliebten zu unterrichten, auf den Weg, stapfte mit seinen breiten geflochtenen Schneeschuhen durch die tief verschneite Straße und trat in den Schankraum just in dem Moment in dem Nikolka brüllte:
    »Dieses deutsche Schwein steche ich ab! Wetten wir, Genossen? Wenn er mein Messer sieht, wird er winseln und sich in die Hose pissen! Sieh ihn dir an, Anuschka, werde ich dann rufen. Schon jetzt, wenn ich nur das Messerchen zeige, stinkt er wie ein Sumpfbiber!«
    Turganow blieb an der Tür stehen. Der Wirt sah ihn groß an, dann räumte er schnell einige Flaschen weg und ging hinaus in die Hinterstube. Dort saß sein Weib Larissa und stickte. »Hol den Verbandkasten«, seufzte der Wirt und setzte sich schwer. »Und stell einen Eimer zurecht … man wird das Blut aufwischen müssen.«
    Der ›Rote‹ schloß den Mund, als er Pawel Turganow in der Tür erkannte. Er hieb nur noch einmal mit der Faust auf die Theke und bekräftigte so seine Absicht, den deutschen Plenny zu zermalmen.
    »Ei, ei«, sagte Turganow ernst, und sein breitflächiges Jakutengesicht hatte alles Grinsen verloren. So sieht man einen Wolf an, bevor man ihn abschießt dachte der ›Rote‹ und lehnte sich mit dem Rücken an die Theke. Er hatte keine Angst, aber unangenehm war's ihm doch, man sah's ihm an, wie er mit den Augen blinkerte und wie es um seine Mundwinkel zuckte.
    »Habe ich nicht recht?« schrie er etwas leiser und heiserer. »Anuschka war mir versprochen.«
    »Einen Dreck war sie«, antwortete Turganow und kam näher.
    »Jetzt hat sie einen Dreck! Einen Deutschen! Einen Feind unserer Nation!«
    »Halt's Maul, du Mistkäfer!« sagte Turganow laut. »Liebe hat mit der Politik nichts zu tun. Das sind zwei ganz verschiedene Dinge. Was schreist du so, du rote Wanze?«
    Nikolka Ippolitowitsch Litowka senkte den Kopf. Was zuviel ist, ist zuviel, man muß das einsehen. Alles hat seine Grenze, und die war nun erreicht bei der roten Wanze. Daß sein Haar nicht schwarz und strähnig war wie das der anderen in Torusk, war nicht seine Schuld. Er hatte sich seinen Vater nicht aussuchen können. Fünfunddreißig Jahre lang hatte er es zu hören bekommen, und in seinem Herzen hatte sich das eingefressen wie Rost, der den Panzer der Selbstbeherrschung langsam, aber stetig, zerfraß. Nun platzte die letzte Hülle, er seufzte tief auf, ballte die Fäuste und stürzte sich auf Pawel Andrejewitsch.
    Der Zusammenprall war dumpf. Turganow wich nicht einen Fußbreit aus, im Gegenteil, er stemmte sich dem ›Roten‹ entgegen, als springe ein Bär ihn an. Und dann krachten die Fäuste auf die Schädel und Schultern, ein Schnaufen und Prusten war im Raum, als wälzten sich Walrösser im Schlamm. Einmal schrie der ›Rote‹ auf, als die Faust Turganows seine breite Nase traf und ein Blutstrom aus seinen Nasenlöchern quoll. Der Wirt lugte schnell aus dem Hinterzimmer, winkte seiner Frau und flüsterte: »Es ist soweit. Hol den Eimer«, und dann hieben sie weiter aufeinander los, Fuß an Fuß, breite, muskelstarke Gestalten in dicken Jacken und Fellstiefeln. Ein Genuß war's, ihnen zuzusehen.
    Schließlich ließ der ›Rote‹ die Fäuste sinken und trat zurück. Er sah nichts mehr, das Blut stürzte aus seiner Nase, ein Auge war zugequollen, auf der Stirn begann sich eine Beule zu heben.
    »Genug!« sagte er keuchend und lehnte sich wieder an die Theke. »Mit dir habe ich ja nichts, Pawel Andrejewitsch. Warst immer ein guter Kommunist und Jäger, warum sollen wir uns schlagen? Aber diesem Deutschen drehe ich den Hals um wie einer lahmen Gans.«
    »In Ruhe läßt du ihn!« schrie Turganow. »Er ist mein Schwiegersohn!«
    »Man wird dich dafür in Jakutsk zur Partei bestellen. Wer hat ihn überhaupt hereingelassen? Hat er einen Paß?«
    »Was kümmert's dich?« Turganow trat ebenfalls an die Theke, und während der ›Rote‹ sich

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