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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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übernehme, müßt ihr noch etwas draufzahlen, Brüder!«
    »Iwan Iwanowitsch«, sagte darauf Felkanow und entkorkte eine Taschenflasche Wodka. »Ihr Blick ist noch nicht klar. Wir wollen die Augen reinwaschen.«
    Stumm tranken sie ein paar Schlucke reihum, sahen sich forschend an und erkannten, daß sie alle aus dem gleichen Holz geschnitzt waren und es sinnlos war, Gaunereien zu versuchen. Plastunow seufzte tief und ehrlich erschüttert.
    »Gut denn«, sagte er brummend. »Für alles fünfzig Rubel!« Er hob beide Hände, ehe eine Antwort ertönte, und rief mit bebendem Kinn: »Genossen, das ist ein großer Preis! Was ist schon ein Pferd? Wenn es gute Reiserentiere wären! Aber ein Gäulchen! Bei Schneesturm legt es sich hin und haucht sein Seelchen aus. Fünfzig Rubel, und ihr habt das Geschäft eures Lebens gemacht.«
    Und so wurde es auch. Martin Abels nahm Abschied von Sasja und gab ihr als letztes Zeichen seines Dankes eine dicke Rübe. Plastunow nickte düster.
    »Verwöhnt es nur, Genossen. Gebt ihm Kaviar ins Heu! Es wird mir die letzten Haare vom Kopf fressen!« Dann zahlte er die fünfzig Rubel in die Hand Martins, griff Sasja am Halfter und führte sie mit dem Schlitten in den Geräteschuppen, wo ein Gehilfe die Neuerwerbung in Empfang nahm. Noch einmal hörte Abels das helle Wiehern Sasjas … dann schloß sich das hölzerne Tor hinter dem letzten Andenken an Torusk.
    Im Parteibüro gelang es Felkanow, tatsächlich noch eine Karte für den Sensationsprozeß in Tschita zu bekommen: Sie gehörte dem Genossen Streckenwärter, aber dieser hatte sich am Morgen beim Rangieren die Hand gequetscht, auf eine ganz dumme Art. Er hatte einen Waggon mit Wollsachen offen gefunden, und gerade als er kontrollieren wollte, ob auch Pullovergrößen für seinen Brustkorb vorhanden waren, knallte hinten ein anderer Waggon gegen die Puffer, die Schiebetür rollte zurück und nahm die Hand des Genossen Streckenwärters in die Zange. Er heulte und tanzte vor Schmerz, wurde verbunden und durfte nach Hause. Aus war's mit der Reise nach Tschita! Er bekam auch noch Fieber, mußte schwitzen und verfluchte es, daß er der Versuchung erlegen war. Felkanow aber bekam seine Eintrittskarte. Ab und zu findet auch ein blindes Schwein eine Eichel.
    Am Abend, mit dem letzten Zug, fuhren Sie nach Tschita. Njuschka war mit zum Bahnhof gekommen und weinte, denn sie hatte noch immer Angst, daß beim Prozeß die Mitwirkung der Felkanows am Staatsverbrechen ruchbar würde. Im übrigen war es, wenigstens in den beiden ersten Wagen, ein vornehmer Zug. Die Parteimitglieder aus Tygdinsk saßen sämtlich in ihren Sonntagsanzügen auf den Holzbänken, darüber die Pelze und auf den Köpfen die Fellkappen. Einige hatten sich sogar die Haare schneiden lassen und deshalb unter der Fellmütze noch einen Wollschal um den Kopf gebunden, denn ein kalter Hinterkopf ist lästig, Genossen!
    Da es der letzte Zug war, fielen weder Anuschka noch Abels in dem Gedränge auf. Zwei Polizisten versuchten, Ordnung in die Menge zu bekommen, die in die Waggons quoll, daß die Federn und Achsen stöhnten. »Langsam, Genossen!« schrie ein Sergeant laut, nachdem man ihm ein Hosenbein aufgeschlitzt hatte. »Jeder kommt mit! Es ist Platz für alle da! Seid doch Menschen, Genossen! Nur Tiere drängen sich so in den Stall.«
    Was nützte es? Man will keine Reden hören, sondern einen Sitzplatz haben. Als der Zug endlich abfuhr, hatte jeder einen Ort gefunden, auf dem er die Fahrt bis Tschita überleben konnte. Und dann war es wie immer: Man packte aus und aß. Wurst, Käse, Eier. Sonnenblumenkerne wurden durch die kalte Luft gespuckt. In der Gepäckablage gackerten die Hühner in den Flechtkörben, ja, sogar ein Ferkelchen quietschte und grunzte in einem Korb und gab den sich vermischenden Düften die letzte, abrundende Feinheit. Im Waggon Felkanows hielt ein Parteimitglied einen Vortrag über Spionage. Nebenan beschwerte sich jemand über einen unbekannten unhöflichen Menschen, der lautlos einen bestialischen Wind hatte streichen lassen. »Man erstickt ja, Genossen!« jammerte die Stimme. »Brüder, wie kann ein Mensch nur so stinken?« Aber die Fenster wurden nicht geöffnet, einesteils, weil es zu kalt dazu war, zum anderen, weil sie völlig vereist waren und sich nicht um einen einzigen Millimeter bewegen ließen.
    Müde hatte Anuschka ihren Kopf auf die Schulter Martins gelegt. Nun schlief sie, ein erschöpftes, wie aus dem Nest gefallenes Vögelchen, zart und zierlich,

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