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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sollte er sagen? Anuschka war eine Russin, für sie war Betty eine Verbrecherin. Und plötzlich sah er mit Erschrecken, wie anders ihr beider Denken war, wenn es nicht um Liebe ging und um Zärtlichkeit. Wie soll das in Deutschland werden, dachte er. Vieles wird sie einfach nicht verstehen, nicht begreifen oder anders sehen. Man wird sie wie ein Kind zu einem anderen Denken umerziehen müssen. Es war so einfach, zu sagen: Ich liebe Anuschka. Ich hole sie. Ich entführe sie aus dem einsamsten Winkel dieser Erde, aus Torusk, das ihr auf keiner Karte findet, denn es wäre ein kleinerer Punkt als ein Fliegendreck … Nun hatte er sie entführt, sie standen an der Schwelle der Freiheit. Aber war es die Freiheit auch für Anuschka? Hatte er nicht ein Raubtier gefangen und schaffte es jetzt in einen goldenen Käfig, der immer ein Käfig blieb, auch wenn man die Stäbe mit Brillanten besetzte?
    »Woran denkst du, Tinja?« fragte Anuschka und berührte Martins Arm. »Sie tut dir leid, nicht wahr? Wenn du es willst, tut sie mir auch leid. Ich will alles tun, was du willst, mein Lieber.«
    Da zog er sie an sich und küßte sie vor allen Menschen auf dem Platz. Sie glühte vor Scham, aber sie legte trotzdem die Arme um seinen Hals und erwiderte seinen Kuß.
    Ich will alles tun, was du willst …
    »Du bist ein Engel«, stammelte Abels und vergrub sein Gesicht in dem Fuchspelz, der ihr Gesichtchen einrahmte. »Du bist ein Irrtum Gottes … so etwas Herrliches wie du dürfte nicht auf dieser ekligen Erde leben –«
    Am Abend nach dem Prozeß erschien bei General Birjukow und Ankläger Frolowski der amerikanische Konsul von Ulan-Ude. Er legte eine Regierungsbestätigung vor, daß er berechtigt war, ein amtliches Gespräch zu führen.
    »Ich bitte Sie, meine Herren«, sagte der amerikanische Konsul, »den Vorschlag meiner Regierung nach Moskau weiterzuleiten, Miß Betty Cormick gegen einen in den USA verurteilten sowjetischen Agenten auszutauschen.«
    General Birjukow nickte und lächelte verhalten. Ankläger Frolowski zündete sich eine süßliche Zigarette an.
    »Wir haben diesen Vorschlag erwartet, Herr Konsul«, sagte er, »und für diesen Fall aus Moskau bereits unsere Antworten mitgebracht. Ich kann Ihnen leider keine Hoffnungen in dieser Angelegenheit machen.«
    »Wir bieten Ihnen den Agenten Jossif Alexandrowitsch Porwutkin als Tausch.«
    »Daran haben wir auch gedacht. Leider ist Genosse Porwutkin für uns völlig uninteressant geworden. Käme er zurück, würde er sein Leben im Lager beschließen. Sie sehen, wir sprechen ganz offen.«
    »Und warum lehnt man einen Tausch generell ab?«
    Der amerikanische Konsul steckte sich mit nervösen Fingern eine Zigarette an.
    »Eine Frau, meine Herren!«
    »Amalja Semperowa will nicht!« General Birjukow lächelte mild. »Wir zwingen keinen Menschen, gegen seinen Willen in seine Heimat zurückzukehren.«
    Der Konsul sprang auf. Es war ihm unmöglich, seine Erregung länger zu unterdrücken. »Darf ich mit Betty selbst sprechen?«
    »Bedaure, sie lehnt es ab.«
    »Aber wieso denn?«
    »Amalja Semperowa ließ uns sagen: Wenn ein Amerikaner kommt, schickt ihn weg! Ich will vergessen, wer ich war!«
    »Das glaube ich nicht«, sagte der Konsul heiser.
    Ankläger Frolowski hob die Schultern und sah den Amerikaner ein wenig sarkastisch an. »Glauben, lieber Herr Konsul … wir haben nie vom Glauben gesprochen, seit fast fünfundvierzig Jahren nicht mehr … nur immer die kapitalistische Welt. Nun glauben Sie auch nicht mehr. Darf man das als eine Annäherung auffassen?«
    Ohne Antwort, bleich und sich wie angespuckt vorkommend, verließ der Konsul das Parteihaus.
    Es war ein warmer Abend. Es taute. Das Abendrot glühte über den weißen Bergkuppen.
    In dem gleichen Zimmer, in dem vor wenigen Minuten noch der Konsul gestanden hatte, saß Betty Cormick und rauchte eine von Frolowskis süßlichen Zigaretten.
    »Sie fliegen morgen schon nach Moskau«, sagte der Ankläger und blätterte in einigen Papieren. »Sie werden vier Wochen in unsere Nachrichtenmethoden eingeweiht werden. Hoffen wir, daß wir Sie dann so schnell wie möglich in Ihrem Land absetzen können. Sie wissen, daß Wassilij Petrowitsch Tasskan so lange in Gewahrsam bleibt, bis wir einige wichtige Unterlagen haben. Wo, meinen Sie, wäre ein Absetzen günstig?«
    »In der Wüste von New Mexiko. Dort gibt es unterirdische Kernreaktoren.« Sie sah aus dem Fenster in das Abendrot. Bei uns im Garten blühen jetzt schon die Tulpen,

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