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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Kilometer durch Taiga und Steppe gezogen, ohne amtliche Abmeldung, ohne den Segen einer Behörde, die uns von Torusk aus vielleicht nach Karaganda oder hinauf an die Eismeerstraße in ein Straflager verschickt hätte!« Abels holte tief Luft. »Aber ich sehe es ein, ich erkenne es ganz klar: Es war ein Fehler. Ein Beamter braucht einen Stempel und eine Unterschrift unter einem Vordruck. Ohne behördliche Bescheinigung ist man kein Mensch.« Und plötzlich sprang er auf, riß die verschüchterte Anuschka mit einem Ruck an sich und preßte sie hart an seine Brust. »Komm, Anuschka, mein Täubchen!« schrie er wild. »Wir gehen wieder zurück nach Torusk! Wir müssen den Genossen Distriktkommissar Borja Grigorjewitsch Amganow um eine Abmeldung bitten, sonst ist es schwer, einen deutschen Beamten von der Existenz eines Menschen zu überzeugen.«
    Der Botschaftsrat lächelte sauer. »An dieser Rede erkenne ich Ihr Deutschtum, Herr Abels«, sagte er gepreßt. »Nirgends in der Welt ist der Behördenhaß so groß wie bei uns. Sie brauchen keinen Paß mehr – ich glaube Ihnen, daß Sie Abels sind.«
    »Was sagt er, Tinja?« fragte Anuschka kläglich und verbarg ihren Kopf an Martins Brust.
    »Er hat mich erkannt, Anuschka.« Abels sah über die schwarzen Haare Anuschkas hinweg auf den Botschaftsrat. »Bitte, senden. Sie ein Blitztelegramm nach Bremen. An Rechtsanwalt Dr. Ludwig Petermann. Er hat in meiner Abwesenheit die Aufsicht über meine Werke übernommen. Telegrafieren Sie, daß ich hier bin und daß er mir und Anuschka das Geld für einen Rückflug überweisen soll.«
    »Ein Telegramm ist bereits unterwegs.« Der Botschaftsrat schloß den Aktendeckel und erhob sich. »Nach Köln. Zum Verfassungsschutzamt. Es kann sein, daß Sie sogar auf Staatskosten reisen.« Er versuchte wieder sein entschuldigendes Lächeln, eingeübt für den Umgang mit den höflichen Japanern. »Ich tue nur meine Pflicht, Herr Abels. Ich kann eine erbetene Amtshilfe nicht einfach ignorieren, zumal der ganze anstehende Komplex sich meiner Beurteilung entzieht.«
    »Das war ein schöner deutscher Beamtensatz«, sagte Abels ironisch.
    Ohne Entgegnung verließ der Botschaftsrat das Zimmer. Immer wir Beamten, dachte er erbost. Wir Deutschen sind ein merkwürdiges Volk – Gewissenhaftigkeit wird als Sturheit angesehen. Nie würde einem Japaner so etwas einfallen. Für ihn ist der Beamte ein Diener des Staates, den er liebt. Ein Diener! Der Botschaftsrat blieb verblüfft auf der Diele stehen und drückte das Aktenstück an sich.
    Diener, dachte er. Ein dummer Ausdruck. Schon der Alte Fritz sagte so etwas. Leben wir im Zeitalter des Alten Fritzen? Na also! Es wäre wirklich notwendig, daß die Menschen einsehen, daß ein Beamter der Träger und Wahrer öffentlicher Ordnung ist. Ein schweres Amt, das gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Aber Diener? Wir sind doch keine Lakaien.
    »Was wird nun aus uns?« fragte Anuschka, als sie allein im Zimmer waren. Abels trat an das Fenster und sah hinaus in den Garten der Botschaft. Auf einer Wiese spielte eine junge, weißgekleidete Dame Federball mit einem Herrn in leuchtend weißen Shorts und einem gelblichen Polohemd. Unter einem bunten Sonnenschirm stand ein Tisch aus Flechtrohr, und auf ihm glitzerten Gläser und ein Siphon in der Sonne. Über dem Park, den Bäumen und den Hausdächern lag eine goldorangene Tönung. Der Tag versank im Meer, wie die Japaner sagen. Beim Anblick der Gläser bekam Abels einen unbändigen Durst. Er stellte sich vor, daß in diesem Siphon eisgekühltes Bier sei oder Orangensaft oder auch nur Sodawasser – aber es war kalt, es rann durch die Kehle, es erquickte, löschte das Brennen im Körper, kühlte das Blut, besänftigte das wild schlagende Herz. Trinken! Wann hatte er zum letztenmal getrunken? Im japanischen Armeehauptquartier, beim Verhör vor General Yonischaka. Er bot ihm Whisky an, mit Eiswürfeln, und er hatte das Eis in den Mund genommen und von Backe zu Backe gerollt, als käme er aus der glühenden Gobi und nicht aus Sibirien, aus der verschneiten, vereisten Taiga, aus 45 Grad Frost.
    »Hast du keinen Durst, Anuschka?« fragte er mit spröder Stimme, als sei seine Kehle eingetrocknet.
    »Nein, Tinja. Ich habe Angst.«
    »Wovor?«
    »Vor diesen fremden Menschen. Was machen sie mit uns? Ich denke, sie sind deine Freunde?«
    »Das sind sie auch, Anuschka.« Abels zog sie an sich und küßte ihre flatternden Lider. »Hier ist nicht mehr Rußland, hier gibt es

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