Ein Mädchen aus Torusk
wedelte mit einem parfümierten Taschentuch unter ihrer Nase, als stänke es irgendwo.
Mit einer großen Geste umfaßte Anuschka den Salon und warf den Kopf zurück. Die langen schwarzen Haare wehten wie eine Piratenflagge.
»Bittä, meine Dammen!« rief sie auf deutsch. »Alle dort in die Ecke.«
»Wie im Zirkus«, zischte Frau von Plessneck. Sie hatte Krampfadern und ging in Gesellschaft deshalb nur sehr ungern quer durch einen Saal. Sie wog überdies vierzig Pfund zuviel. Aber sie mußte gute Miene zum bösen Spiel machen und erhob sich ächzend vom Stuhl.
Anuschka bestand darauf, den älteren Damen ein Kissen unterzuschieben oder den Sessel zu rücken. Dann nahte Diener Alfons. Auf seinem Tablett standen drei Flaschen. Gerade wollte er Frau Dr. Faßler fragen: »Cherry oder …«, als Anuschka ihn unterbrach.
»Das machen ich.« Und schon hatte sie in jeder Hand eine Flasche und ging die Runde ab. Im Nu waren die Gläser gefüllt; die meisten ein wenig zu voll, einige sogar übergeschwappt.
Anuschka setzte sich. Sie strahlte. »Isch sehr gern habe Gäste. Bei uns man beginnt mit Gesundheit, Ihre Gesundheit!« Sie nahm ihr Glas, nickte in die Runde, trank – und verzog das Gesicht. »Phhh, nix gut. Zu stark. Ist gut für Mann. Frau davon wird dick und müde.«
Die eisige Stille der Damen fiel Anuschka noch immer nicht auf. Angestrengt suchte sie nach Worten: »Bei uns man bewundert deutsche Frau. Immer sauber, treu zu Mann, gut zu Kindern, kann Klavier spielen, gut in Küche und ist nicht leidenschaftlich.«
Die völlig humorlose Frau Senator Pottbeck unterbrach Anuschka. »Wieso nicht leidenschaftlich?« fragte sie spitz.
Anuschka war in ihrem Element. »Isch meine, deutsche Frau jetzt reiche Frau. Sie denkt zuviel an Villa, Auto, Schmuck. Aber arme Frau hat nichts im Leben als Liebe. Sie deshalb besser in Liebe. Mehr mit Herz.«
Frau von Plessneck lächelte geziert. »Das ist doch alberne Propaganda.«
»Nix Propaganda«, lachte Anuschka. »Sehen Sie, Rußland arm. Bei uns junge Menschen denken an Liebe, sagen Gedichte von Liebe, viele suchen Tod wegen Liebe. Deutschland ist auch arm gewesen. In Zeit von Goethe. Isch in Schule gelesen ›Werther‹. Das war noch Zeit für Liebe in Deutschland.«
Anuschka strahlte. Sie war stolz auf die vielen deutschen Worte, die ihr über die Lippen flossen. Sie freute sich, in Tinjas Sprache scherzen, ihre Gäste zum Lachen bringen zu können. Was sie sagte, entsprang ihrem Temperament.
Eine Weile war nun Stille. Diener Alfons, Böses ahnend, kam mit einem riesigen Tablett und servierte Mokka, nachdem der Aperitif verunglückt war und keine der Damen ihr Glas leergetrunken hatte. Er sah auf Frau Dr. Faßler und Freifrau von Plessneck, er bemerkte die innere Unruhe von Frau Senator Pottbeck und wußte, daß nun, nach dem ersten Anlauf Anuschkas, die Gegenoffensive der Bremer Gesellschaft stattfand. Gnadenlos, überlegen, geschult an vielen Partys und Kaffeekränzchen.
Die Damen hatten sich in einem weiten Kreis um einige Rokokotische gruppiert, saßen auf harten, aber vornehmen, gobelingepolsterten Stühlen, schlürften zur Aufmunterung einen Schluck glühheißen Mokka aus den winzigen Tassen und bemühten sich, die gewisse vornehme Steifheit zu demonstrieren, die jedem Kenner sagte, daß hier eine Phalanx saß, die zu durchbrechen selbst Hannibal mit seinen Elefanten nicht gelungen wäre. Die Unterhaltung ging zunächst über den Kopf Anuschkas hinweg und begann immer mit: »Haben Sie schon gehört, meine Liebe …« und endete mit: »Da haben Sie völlig recht, mein Herz.« Das sagte man immer, auch wenn man anderer Meinung war, aber es war höflich, dem anderen das Gefühl zu geben, auch einmal etwas Richtiges gesagt zu haben. Dann, ganz plötzlich, machte man Front gegen Anuschka. Es war, als habe jemand ein heimliches Kommando gegeben: Alle Waffen nach links! Stoßt zu! Vernichtet den Feind! Zum Angriff voran. Hurra! Hurra!
Freifrau von Plessneck begann die Attacke mit einer im säuselnden Ton gestellten Frage: »Meine Liebe … Sie, als Russin, kennen doch sicherlich Schostakowitsch. Ist seine Symphonie nicht himmlisch?«
Anuschka schüttelte den Kopf. »Isch nix kennen von Musik. Wir gesungen nur Komsomolzenlieder in Schigansk. Schönnes Lieder. Traurig und lustik.«
»Ach!« Frau Dr. Faßler hackte vor wie ein Geier, der die Eingeweide eines Aases riecht. »Sie waren Kommunistin?«
Anuschka sah sich mit großen Augen um. Welche Frage, dachte sie. Ich
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